28/09/2023
Anti-Adipositas Medikamente: metabolische Wundermittel?
Es passiert tatsächlich sehr selten, dass ein Produkt so erfolgreich ist, das der Hersteller die entsprechende Werbung dafür einstellt. So passiert im Mai diesen Jahres für das Medikament Semaglutid / Wegovy (Novo Nordisk), das als Anti-Adipositas Medikation von der FDA (die amerikanische Arzneimittelbehörde) in diesem Jahr zugelassen wurde. Ähnliches ereignete sich auch in Deutschland. Derselbe Wirkstoff, als Diabetes-Medikament unter dem Namen Ozempic, war deutschlandweit in keiner Apotheke mehr verfügbar. Dieses Medikament ist ein sogenannter GLP-1 (Glucagon-Like Peptide) Agonist, einmal wöchentlich subkutan (in die Haut) injiziert, imitiert die Wirkung eines Hormons, das das Hungergefühl reduziert. Zahlreiche ähnliche, noch wirkungsstärkere Medikamente sind oder werden demnächst zugelassen. Tirzepatid (Mounjaro) und Retatrutid sowie Orforglipron ahmen die Wirkung von 2 (GLP-1, GIP) bzw. 3 (GLP-1, GIP, Glukagon) „Anti-Hunger-Hormonen“ nach . Die Studien sind durchaus beeindruckend, eine Gewichtsreduktion von 16% (Semaghlutid) bis zu 25% bei den neueren Medikamenten (im Vergleich zu adäquaten Kontrollgruppen) über ein Jahr wurden nachgewiesen. Die genauen Wirkmechanismen sind bislang noch nicht endgültig geklärt. Diese Hormone wirken nicht nur direkt im Darm (sie vermitteln beispielsweise ein Völlegefühl und verzögern die Magenentleerung) sondern auch im Gehirn (z.B. im Hypothalamus, einer Region, die maßgeblich für die Energiebilanzierung, Hunger, Sättigung und Appetitregulation verantwortlich ist). Interssanterweise beeinflussen diese Medikamente das Belohnungssystem, das mit dem Essen verbunden ist. Tatsächlich scheint über diesen Wirkmechanismus auch ein relevanter Effekt bei Abhängigkeitssyndromen und Suchterkrankungen (Alkohol, Rauchen, Spielsucht) vermittelt zu werden.
Darüberhinaus wurde erst kürzlich völlig unerwartet ein weiterer positiver Nebeneffekt beobachtet. Erste Ergebnisse zeigen, dass in der Studie die wöchentliche Dosis Semglutid/Wegovy das Risiko schwerer kardiovaskulärer Ereignisse (wie Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Tod durch diese Erkrankungen) um 20% gesenkt wurde. Die endgültigen Ergebnisse der sogenannten SELECT-Studie von 17604 Patienten mit Herzkreislauf-Erkrankungen (aber keinen Diabetes) werden Ende des Jahres mit Spannung erwartet.
Leider wirken diese Medikamente bezüglich einer Gewichtsreduktion nicht für alle Patienten gleich gut, was sich durch die komplexen und individuell variablen Mechanismen der Entstehung von Übergewicht und Adipositas erklären lässt.
Wie sicher sind diese Behandlungen? Die kurzzeitigen Nebenwirkungen sind bekannt: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und ähnliche gastrointestinale Beschwerden. Einige Patienten berichteten suizidale Gedanken. Weiterhin kam es auch zu einem Verlust der sogennannten „lean body mass“, wozu beispielsweise auch die Muskelmasse zählt. Das ist allerdings unter anderen Diäten zu beobachten. Bislang sind noch keine wesentlichen negativen Langzeitfolgen bekannt, zumindest im Rahmen der bereits seit einigen Jahren eingesetzten Diabetestherapie.
Das Problem liegt wahrscheinlich eher in unserer evolutionär geprägten verzwickten Stoffwechselbiologie. „Bodies like to gain weight; they don‘t like to lose it“ , sagt Arya Sharma, ein Adipositas Forscher aus Berlin. Die neuen Wundermittel tricksen diesen metabolischen Mechanismus, der uns den gefürchteten Jo-Jo-Effekt beschert, zwar aus, aber das Dilemma ist (höchstwahrscheinlich) vorprogrammiert. Beendet man die Therapie, kommt es wieder zu einer Gewichtszunahme.
Angesichts der Adipositas-Pandemie mit all den massiven gesundheitlichen Folgen, den verzweifelten, überwiegend zum Scheitern verurteilten Diätversuchen, den zahlreichen wirkungslosen, aber nebenwirkungsreichen medikamentösen Therapieversuchen und der in der Konsequenz , derzeit einzig effektiven, aber invasiven operativen Therapie des Magen-Bypass sind diese neuen Therapeutika durchaus ein Lichtblick für viele Patienten. Für Mediziner und Forscher eröffnen sie neue Einblicke in die Geheimnisse des menschlichen Stoffwechsels.
Quellen:
Nature Vol 620; 19; 17/08/23
Nature Vol 620; 28-30, 03/08/23
Rubino, DM et al; JAMA 327, 138-150; 2022
Jastreboff, AM et al; NEJM 387, 205-216 (2022)
Wilding JPH et al; NEJM 384, 989-1002 (2021)
Wharton S et al; NEJM Jun Online ahead of print.(2023)