18/10/2025
"Dem Mann wurde beigebracht, ein ganzer Mann zu sein: niemals weibliche Züge zu zeigen, sich niemals eine Schwäche des Herzens zu erlauben, sich nie empfänglich zu zeigen, immer nur aggressiv zu sein. Dem Mann wurde beigebracht, niemals zu weinen oder Tränen zu vergießen – denn Tränen sind feminin!
Den Frauen hat man beigebracht, sich niemals in irgendeiner Weise wie ein Mann zu verhalten: niemals Aggressionen zu zeigen, sich nie expressiv zu verhalten, immer passiv und empfänglich zu sein. Das entspricht nicht der Wirklichkeit, und es hat beide verkrüppelt.
In einer besseren Welt mit mehr Verständnis werden Mann und Frau beides sein können – denn gelegentlich hat der Mann es nötig, wie eine Frau zu sein. Es gibt Augenblicke, in denen er es nötig hat, weich zu sein – zarte Augenblicke, Augenblicke der Liebe. Und es gibt Augenblicke, in denen eine Frau es nötig hat, sich auszudrücken und aggressiv zu sein – im Zorn, um sich zu verteidigen, um zu rebellieren. Wenn eine Frau immer nur passiv ist, wird sie automatisch zur Sklavin. Eine passive Frau wird zwangsläufig zur Sklavin – so war es seit Jahrtausenden. Und ein aggressiver Mann, der immer nur aggressiv ist und nie zart sein kann, wird zwangsläufig Kriege, Neurosen und Gewalt in die Welt setzen.
Der Mann hat immer gekämpft, ununterbrochen gekämpft. Die Männer scheinen nur zum Kämpfen auf dieser Welt zu sein. In dreitausend Jahren haben sie fünftausend Kriege geführt! Immer gibt es irgendwo Krieg; die Erde ist nie ganz und gesund ... keinen Augenblick ohne Krieg! Entweder in Korea oder in Vietnam oder in Israel oder in Indien und Pakistan oder in Bangladesh – irgendwo muß immer ein Massaker stattfinden!
Der Mann muß töten. Um ein Mann zu sein, muß er töten. Fünfundsiebzig Prozent der Energie geht in den Krieg, in die Produktion von mehr Bomben – Wasserstoffbomben, Neutronenbomben und so weiter und so fort.
Der einzige Zweck, für den der Mann auf der Erde ist, scheint der Krieg zu sein. Die Kriegshelden werden am meisten geehrt. Die Kriegspolitiker sind diejenigen, deren Namen in die Geschichte eingehen: Adolf Hi**er, Winston Churchill, Josef Stalin, Mao Tse-tung – diese Namen bleiben. Und warum? Weil sie große Kriege geführt und zerstört haben. Ob als Angreifer oder als Verteidiger, das spielt keine Rolle – sie sind die Kriegshetzer. Und niemand weiß, wer der wirkliche Aggressor war – ob Deutschland oder die anderen. Alles hängt davon ab, wer die Geschichte schreibt. Der Sieger schreibt die Geschichte, und er wird beweisen, daß der andere der Angreifer war. Die Geschichte wäre völlig anders verlaufen, wenn Adolf Hi**er siegreich gewesen wäre. Gewiß, die Nürnberger Prozesse hätten ebenso stattgefunden, aber auf der Anklagebank hätten die amerikanischen, die englischen, die französischen Generäle und Politiker gesessen. Und die Geschichte wäre von den Deutschen geschrieben worden, und sie hätten das ganze natürlich aus einer völlig anderen Sicht dargestellt. Niemand weiß, wie es wirklich war.
Aber eines ist gewiß: Die Männer haben ihre ganze Energie in Kriege gesteckt. Und der Grund? Der Grund ist, daß man dem Mann beigebracht hat, ein »ganzer Mann« zu sein und seine weibliche Seite zu verleugnen. Darum ist kein Mann vollständig.
Und das gleiche gilt für die Frau: Keine Frau ist vollständig. Sie hat ihre männliche Seite verleugnet. Als kleines Mädchen durfte sie nicht mit den Jungen raufen, durfte sie nicht auf Bäume klettern; sie mußte mit Puppen spielen, mußte Familie spielen. Das ist eine sehr, sehr verfälschte Sicht.
Der Mann ist beides, die Frau ist beides – und beide Seiten sind nötig, um einen authentischen, harmonischen Menschen hervorzubringen. Die Existenz ist dialektisch: Gegensätze sind nicht nur Gegensätze, sondern sie ergänzen sich auch.”
Aus:
Osho - Das Herz Sutra