06/05/2023
Hallo❤️,
ich möchte heute gern etwas mit dir teilen, was ich gestern in der Apotheke erlebt habe.
Ein älterer Mann hält mir eine Packung Salbeibonbons vor die Nase und fragt mich, was sie kosten.
Ich nenne ihm den Preis. Da sagt er, dass er in der letzten Woche, über fünf Euro für eine Packung bezahlt hätte. Weil ich mir das nicht vorstellen konnte, hab ich den Vorgang in der Kasse raus gesucht und ihm den Bon ausgedruckt. Auf dem Bon war zu sehen, dass er auch noch etwas anderes gekauft hatte und beides zusammen über sechs Euro gekostet hat. Daraufhin hat er sich bei mir entschuldigt. Es war ihm sehr peinlich.
Er zog dann von dannen, mit der Bemerkung, ach wenn das doch alles schon vorbei wäre und zeigte auf seine 50 Stück Packung mit Thrombosespritzen. Ich schaute auf sein Rezept, er war in onkologischer Behandlung....
Ich kenne viele Kolleginnen, die sich fürchterlich darüber aufregen, wenn sie zu Unrecht beschuldigt werden, zu viel Geld kassiert zu haben. Schnell werden dann die Menschen als trottelige oder verkalkte Alte abgetan.
Der Mann, mit dem ich hier gesprochen habe, hat aktuell ganz andere Sorgen, Probleme und Nöte. Er macht gerade eine Chemotherapie durch, deren Ausgang ungewiss ist und er hat mit den Nebenwirkungen zu kämpfen. Da kann es schon passieren, dass er Dinge anders wahrnimmt. Dass ihm der Kopf ganz woanders stand, als er sich die Bonbons gekauft hat.
Seine Erkrankung prägt sein Verhalten, sein Denken und seine Gefühle. Er ist eher misstrauisch der Welt gegenüber eingestellt.
Das Verhalten dieses Mannes ist vergleichbar mit dem Verhalten einer Frau mit chronischen Schmerzen. Chronische Schmerzen lösen Stress im Körper aus. Die Frau selbst nimmt das vielleicht gar nicht so wahr, weil sie schon so lange in diesem Zustand lebt. Für sie ist das normal. Und doch ist ihr Adrenalin- und ihr Cortisolspiegel ständig auf einem hohen Level. Der Körper muss damit fertig werden....
Und gleichzeitig kommt noch der tägliche Stress oben drauf, weil sie vor Schmerzen nicht zur Arbeit kann. Weil sie sich nicht so um die Kinder kümmern kann, wie sie möchte. Weil sie nicht so liebevoll zu ihrem Partner sein kann, wie sie es sich ersehnt.
Ständig kreisen ihre Gedanken um die starken Schmerzen. Und dann kommt ihr plötzlich jemand quer. Das kann eine Sprechstundenhilfe sein, die keinen Termin für sie hat. Oder eine Verkäuferin, die ihr sagt, dass das Angebot schon vergriffen ist. Oder die Lehrerin ruft an, weil die Kinder Probleme in der Schule machen.
Ist es da nicht verständlich, dass die Frau irgendwann "rot" sieht? Sie kann sich kaum aufrecht halten und klar denken. Und die ganze Welt ist gegen sie....
Ich finde, wir sollten unsere Mitmenschen viel öfter einfach so sein lassen, wie sie sind. Fast immer steckt tatsächlich ein Grund hinter ihrem Verhalten und wir kennen ihn nicht.
Ganz schnell haben wir eine Bewertung bei der Hand und verurteilen einen Menschen.
Das führt zu Wut und Groll.
Ich habe mit der Zeit bei mir bemerkt, dass es mir so richtig gut geht, wenn ich Andere nicht bewerte. Sie sind einfach so, wie sie sind. Es hat tatsächlich zu innerem Frieden geführt. Ich bin entspannter und gelassener. Das tut mir als Schmerzpatientin gut und ich gehe viel offener auf andere Menschen zu.
Wie wäre es, wenn wir als Schmerzpatienten den Anfang machen, für einen friedlichen und liebevollen Umgang miteinander?
Herzlichst Sabine❤️