16/05/2019
Die WG mit dem Tod
Es gibt Fragen, die werden einem immer wieder gestellt. Bei mir ist es, wie ich damit umgehe, dass ich sehr regelmäßig von meinen Tieren Abschied nehmen muss. Da ich sehr alte, zudem meist auch sehr kranke, Tiere bei mir aufnehme, wohnt Gevatter Tod quasi bei uns und ich finde den alten Knaben nicht wirklich bedrohlich, ja, er ist nahezu ein Freund geworden.
Angefangen hat alles vor 10 Jahren mit Ibo, einem wunderschönen Hund aus dem Tierheim. Ibo und ich waren von der ersten Sekunde an ein eingespieltes Team. Als ich ihn dann endlich zu mir holen wollte, erfuhr ich, dass er einen bösartigen Tumor hat und man eher von Tagen als von Wochen ausgehen kann. Für mich war klar, dass er diese letzten Tage bei mir verbringen kann. Wir waren ein Team und man lässt seinen Partner einfach nicht im Stich. Und so zog er ein. Jedes Ächzen, jedes Stöhnen bereitete mir anfangs Sorge. Ist das für seinen Zustand normal, oder verschlechtert sich alles? Doch Ibo strahlte und so strahlte ich auch. Jeder Tag war ein Abenteuer. Jeder Sonnenstrahl ein Geschenk. Wir verbrachten 10 wundervolle Wochen miteinander und wenn ich an die Zeit zurückdenke, wundere ich mich manchmal, wie viele Erinnerungen ich doch in nur 10 Wochen sammeln konnte. Wir dachten nicht an die Zukunft, wir schwelgten nicht in der Vergangenheit, denn beides hatten wir ja nicht. Wir lebten im hier und jetzt. Bis er mir eines Tages zeigte, dass es Zeit ist. Er ging, wie er lebte. Mit Liebe im Herzen und einem Lächeln im Gesicht.
Auch Jack, Hexi und Benji verbrachten nur kurze Zeit bei mir, bevor der Tierarzt ihnen Flügel spritzen musste. Dusty durfte 7 Jahre bleiben. Ich habe also in 10 Jahren meine letzte Oma, ihren Lebensgefährten, meinen Vater, 5 Hunde, 13 Kaninchen, 8 Vögel und einen Hamster verloren. Wie gehe ich damit um?
Der Tod kann angst machen, zweifellos. Wir wissen nicht, was danach kommt und wenn es nicht wir, sondern unsere Liebsten sind, die mitgenommen werden, dann vermissen wir diese sehr.Egal, wie oft ich Abschied nehme, es wird nie leichter. Aber ich habe auch gelernt, dass der Tod selbst nicht das Schlimme ist. Ich habe in so viele Gesichter gesehen, die im Leben von Leid und Schmerz gekennzeichnet waren und die der Tod wieder friedlich erschienen ließ. Der Tod ist nur für die schlimm, die zurückbleiben. Die, die gehen, leiden nicht mehr. Ich stelle ihn mir immer als komischen Kauz vor, der den Sterbenden an die Hand oder Pfote nimmt und mit jedem Schritt ein wenig Schmerz nimmt. Er ist kein Sadist, der uns quält, sondern für viele Sterbende ein Freund, der Leiden beendet. Moment, denken viele jetzt, bei alten, schwer kranken ist das verständlich, aber was ist mit all den Kindern, jungen Menschen, jungen Müttern oder auch Unfallopfern? Wäre der Tod wirklich ein Freund, würde er die nicht nehmen. Als mein bester Freund mit Anfang 20 starb, war ich stinkesauer auf Gevatter Tod. Aber irgendwann habe ich begonnen zu begreifen, dass der Tod und das Schicksal zwar miteinander verbunden, aber nicht dasselbe sind. Ich liebe es, in Bildern zu denken. Für mich sind die zwei Brüder. Schicksal ist ein A***h. Manchmal ist er gut drauf und macht ganz tolle Sachen, aber wenn er miese Laune hat, dann schlägt er zu und verbreitet Leid. Dann kommt der Tod als großer Bruder und räumt auf, verhindert, dass derjenige, der vom Schicksal getroffen wurde, zu lange leiden muss.
In all den Jahren habe ich eins gelernt: Jeder Atemzug bringt uns dem Tod einen Schritt näher und es liegt an uns, wie wir ihn nutzen. Wenn unsere Lieben sterben, hinterlassen sie Erinnerungen und je mehr und lustiger die Erinnerungen sind, desto öfter denken wir an sie zurück. In diesen Erinnerungen leben sie ein wenig in uns weiter. Ich habe noch heute das schelmische Lachen meines Vaters im Ohr, wenn wir zusammen was angestellt haben. An seiner Beerdigung waren die Wege vereist und der Urnenträger war ein älterer, gebrechlicher Herr. Ich hatte plötzlich das Lachen meines Vaters im Ohr „warte nur, gleich fällt er und dann fliiiiege ich ein letztes mal“. Ich musste mir das Grinsen wirklich verkneifen.
Füllt euer Leben mit Erinnerungen, verbringt Zeit miteinander. Einer von beiden wird immer zurückbleiben und es liegt an beiden, dass derjenige sich keine Vorwürfe macht, zu wenig Zeit miteinander verbracht zu haben.
Füllt das Leben eurer Tiere mit dem, was es ist. Leben. Damit sie, wenn Gevatter Tod sie auf den letzten Spaziergang mitnimmt, ihm die Ohren wundreden, wenn sie von all ihren Erlebnissen erzählen.
Gevatter Tod hat bei mir im Haus ein Zimmer. Und jedes mal, wenn er von seinem Himmelstrip mit meinen Tieren zurückkommt, erzählt er mir, dass meine Tiere den ganzen Weg von ihren Erlebnissen auf Erden erzählt haben und ihm die Ohren bluten. Und ich antworte nur: „weißt du, existieren ist was für Langweiler. Wir leben. Das macht mehr Spaß“