27/07/2020
Unsere heimischen Blumen in Brauchtum, Mythologie und Etymologie
Die Tollkirsche, Atropa belladonna, die verbotene Frucht!
Alle kennen Ihren Namen, doch die Wenigsten erkennen diese Staude in unserer Natur. Was macht sie so toll? Was hat es auf sich mit Ihrer Giftigkeit und dem vielen Zauber, der sie umgibt? Lesen Sie hier…
Die giftige Verwandtschaft…
Neben der Tollkirsche kennen wir viele beliebte Nahrungspflanzen aus der Familie der Nachtschattengewächse wie Kartoffel, Tomate, Aubergine und Paprika. Andere Familienmitglieder sind uns dagegen eher als ausgewiesene Giftpflanzen im Gedächtnis wie Alraune, Bilsenkraut, Stechapfel, Tabak und eben unsere Tollkirsche.
Albtraumgewächse…
Die Familienbezeichnung Nachtschatten ist hier gemäß einer gängigen Interpretation als Albtraum zu verstehen, welchen wir der germanischen Mythologie zufolge dem Wirken mancher Alben verdanken. Diese Alben, später auch Elfen und Elben genannt, waren nämlich nicht nur jene anmutigen weiblichen Wesen, zu denen sie ab dem 18. Jahrhundert verklärt wurden. Vielmehr gab es unter Ihnen auch Wesen der dunklen Seite, welche unseren Urahnen den Albdruck bescherten. Um diese Mächte zu bannen und letztlich einem befürchteten Nachtschatten, also Albtraum, zu entgehen, hatten sich unsere Vorfahren der süßlich-berauschenden Inhaltstoffe einiger Nachtschattengewächse bedient.
Von Schönheit und Gift…
Die allseits bekannte Tollkirsche (Atropa bella-donna), ist eine bis zu 1,5 m hohe Staude der Wegränder und Lichtungen unserer heimischen Wälder. Bereits die Römerinnen nutzten den rötlichen Fruchtsaft der „Bella-Donna“ (Schöne Frau) als Rouge für die Wangen und den Inhaltsstoff Atropin zur attraktiven Erweiterung ihrer Pupillen. Besonders gefährlich wird diese Giftpflanze allerdings dadurch, dass ihre kirschartigen schwarzen Früchte uns Menschen allzu verlockend zum Genuss erscheinen. Dies führt jedoch, wenn nicht gleich zur tödlichen, dann oftmals zur namensgebenden „tollen“ Wirkung, denn toll ist hier noch in seiner ursprünglichen Bedeutung als närrisch und verrückt zu verstehen. Man denke an Begriffe wie Tollwut, Tollhaus oder Ihre Tollität.
Vom Fliegen, Tanzen und Lieben…
Knapp diesseits der todbringenden Dosis verursachen die giftigen Alkaloide vieler Nachtschattengewächse nämlich Rauschzustände, welche mit Visionen, insbesondere vom Fliegen, aber auch von festlichem Gelage, von Tanz und körperlicher Liebe einhergehen und nach dem Erwachen dem Berauschten oftmals gar als wirklich erlebt erscheinen. Auf den Betrachter allerdings wirkt dieser in seinem Rausch nichts als närrisch und verrückt, also „toll“.
Bis zum Mittelalter galten die meist zu Salben (Flugsalben) verarbeiteten Wirkstoffe dieser Pflanzen, insbesondere von Tollkirsche, Bilsenkraut und Schwarzem Nachtschatten, als Rauschmittel der armen Leute.
Hexenwerk…
Spätere Zeit verabscheute derartige Rauschzustände und verwies die als götternah empfundenen Visionen ins Reich des Teufels und der Hexen. „Die Salbe gibt den Hexen Mut“, wusste auch Goethe und ließ seinen Heinrich Faust eine solche Hexenorgie in der Walpurgisnacht erleben. Manch heilkundige Hausfrau landete jedoch zu finsteren Zeiten wegen ihres Wissens um die Heil- und Rauschwirkungen ihrer Kräutersammlung auf dem Scheiterhaufen. Von der Verwendung der berauschenden Flugsalben ist bis heute die Darstellung der Hexen als fliegende närrische Unholde geblieben.
Namensgebend für unser Bier…
Übrigens hatten unsere Urahnen auch dem Bier solche Stoffe beigefügt, insbesondere aus dem Bilsenkraut, einer Schwester unserer Tollkirsche. Wenn die in einem schlechten Jahr arm an Stärke geerntete Gerste einen nur geringen Alkoholgehalt ergab, wurde ein Extrakt dieser Blume zugegeben, um überhaupt eine erwünschte Rauschwirkung zu erzielen. Die Stadt Pilsen in der heutigen Tschechischen Republik hatte eigens hierzu große Felder des Bilsenkrautes im Anbau, welche letztlich ihr selbst und somit auch unserem dort brautechnisch entwickelten Pils den Namen gaben.
Am seidenen Faden…
Vor der todbringenden Tollkirsche und ihren Verwandten sei allerdings gewarnt. Ihr wissenschaftlicher Gattungsname Atropa soll schließlich an die Schicksalsgöttin Atropos erinnern, eine der drei lebensbestimmenden Parzen (Moiren) der antiken Mythologie. In ihrer Macht lag es nämlich, den Lebensfaden des Menschen zu stricken, zu vermessen aber auch wieder durchzuschneiden.
Foto und Text: Wolfgang Stein, Universität des Saarlandes
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