31/10/2025
Kognitive Dissonanz – wenn Herz und Verstand sich widersprechen....
Kognitive Dissonanz beschreibt den inneren Spannungszustand, der entsteht, wenn unsere Gedanken, Überzeugungen und Handlungen nicht mehr im Einklang stehen. Wir spüren sie, wenn wir etwas glauben, aber anders handeln – oder wenn wir eine Wahrheit ahnen, die wir gleichzeitig vermeiden. Sie kann leise beginnen, wie ein kaum wahrnehmbares Unwohlsein, und sich zu einem tiefen inneren Konflikt auswachsen. Psychologisch betrachtet, versucht der Mensch diesen Zustand fast immer zu reduzieren, indem er sich rechtfertigt, verdrängt oder Situationen so interpretiert, dass sie wieder mit seinem Selbstbild übereinstimmen. Doch das kostet Kraft.
Kognitive Dissonanz entsteht häufig in frühen Bindungserfahrungen. Wenn ein Kind spürt, dass seine Bedürfnisse nicht willkommen sind, lernt es, das eigene Erleben zu verleugnen, um Zugehörigkeit zu sichern. Es übernimmt Überzeugungen, die nicht der eigenen Wahrheit entsprechen – etwa: „Ich darf nicht wütend sein“, „Ich muss stark sein, um geliebt zu werden“ oder „Ich darf nicht Nein sagen“. Diese inneren Glaubenssätze schaffen im Erwachsenenalter ein Spannungsfeld zwischen dem authentischen Selbst und dem angepassten Ich. Immer dann, wenn wir spüren, dass etwas „nicht stimmt“, aber weitermachen, entsteht genau dieser Widerspruch zwischen innerer Wahrheit und äußerem Verhalten: die kognitive Dissonanz.
Spirituell betrachtet ist diese Dissonanz kein Fehler, sondern eine Einladung. Sie zeigt uns, wo wir nicht mehr im Einklang mit unserer Seele sind. Jede Unruhe, jedes innere Ringen weist darauf hin, dass ein Teil in uns bereit ist, eine tiefere Wahrheit zu erkennen – selbst wenn sie unser bisheriges Selbstbild infrage stellt. Die Dissonanz ist also kein Gegner, sondern ein Weckruf. Sie ruft uns dazu auf, alte Identitäten loszulassen, die einst überlebensnotwendig waren, aber heute verhindern, dass wir wirklich lebendig sind.
Im therapeutischen Prozess bedeutet das, diesen inneren Widerspruch nicht zu übergehen, sondern bewusst zu erforschen. Was in mir glaubt noch an das Alte, und welcher Teil in mir weiß längst, dass es nicht mehr stimmig ist? Die Integration beginnt dort, wo wir beides gleichzeitig halten können: das Bedürfnis nach Sicherheit und die Sehnsucht nach Wahrheit. Erst in dieser Haltung des bewussten Dazwischen entsteht innerer Wandel.
Aus spiritueller Sicht ist die kognitive Dissonanz ein Moment der Bewusstseinserweiterung – das Spannungsfeld zwischen dem Alten und dem Neuen, in dem sich das Ego auflöst und Bewusstheit wächst. Wenn wir aufhören, uns selbst zu überreden, und beginnen, uns ehrlich zuzuhören, verwandelt sich der innere Widerstand in Erkenntnis. Dann wird klar: Die Dissonanz war nie unser Feind, sondern der Wegweiser zurück zu unserer inneren Wahrheit.
Aylin