06/12/2025
Ich schreibe diesen Beitrag nun nicht nur als systemischer Coach. Nicht nur als die Frau, die seit Jahren Frauen begleitet - raus aus toxischen Beziehungen, raus aus Narzissmusfallen,
raus aus Dynamiken, die wir systemisch als Gewalt einordnen müssen.
Und NEIN: auch das hier ist nun KEIN Männer-Bashing. Ich schreibe diesen Beitrag für Frauen, weil ich in einem Frauenfeld schreibe.
Für all die Frauen, die in „Beziehungen“ bleiben,
die schon längst keine mehr sind.
Oder keine waren.
Weil wir alle verstehen müssen - auf sachlogischer Ebene -, was im eigenen Kopf (!) passiert, wenn ein System in der Bindung bleibt,
obwohl der Verstand doch längst schreit:
„Hier ist Schluss. Hier ist Zerstörung. Hier ist Entwürdigung!.“
Heute schreibe ich diesen Beitrag auch für eine ganz bestimmte Frau, die mir sehr am Herzen liegt. Ich erlebe gerade live, wie sie kämpft. Ich erlebe das nicht nur als Coach, sondern als Freundin. Ich erlebe, wie sie weiß (!), was jetzt richtig wäre - und es aktuell trotzdem (noch) nicht schafft.
Eine Frau, die so klug ist,
hochgradig intelligent,
reflektiert, bewusst, wach,
liebenswert auf allen Ebenen.
Was uns einmal mehr zeigt:
Daran (!) liegt es NICHT!
Es ist NICHT die fehlende Intelligenz!
Es ist NICHT das fehlende Wissen!
Es ist DAS, was ein Nervensystem tut,
wenn Bindung zur Überlebensfrage wird.
Und genau das werde ich hier jetzt erklären.
Medizinisch. Systemisch. Klar.
„Was passiert im Kopf einer Frau, die ihn (weiterhin) nicht blockt - obwohl sie es längst müsste? - Ein systemisch-medizinischer Blick.“
Das Beenden eines Kontakts, vor allem eines toxischen, ist kein technischer Vorgang.
Es ist ein „neurobiologischer Kriegsschauplatz“.
Der Verstand der Frau weiß längst:
Dieser Mann war entwürdigend.
Sprachlich. In Handlungen.
Auf diversen Ebenen.
Der (weitere) Kontakt tut weh.
Die Beziehung ist vorbei.
Ein Comeback ausgeschlossen (!).
Doch das Nervensystem denkt nicht in moralischen Kategorien.
Es arbeitet mit Bindungsmustern, Überlebensstrategien und Neurochemie.
Was passiert da genau?
1. Das Gehirn verwechselt Trauma mit Liebe
Wenn ein Mann dich immer wieder verletzt, und du trotzdem bleibst, entsteht in deinem Kopf ein fataler Cocktail aus Dopamin (Belohnung) + Cortisol (Alarm).
Diese Mischung nennt sich:
Trauma-Bonding.
Das Nervensystem lernt: „Schmerz + Sehnsucht = Bindung“.
2. Das Belohnungssystem ist konditioniert
Nicht die Nachricht macht süchtig.
Die Unvorhersehbarkeit macht es:
„Vielleicht schreibt er heute.“
„Vielleicht merkt er doch noch,
was er verloren hat.“
Ein intermittierender Verstärkungsplan:
die stärkste (!) Suchtstruktur (!),
die wir überhaupt kennen.
Stärker als Glücksspiel!
Stärker als Nikotin!
Die Illusion von Kontrolle
Ein weiterhin offener Kanal (z.B. WhatsApp) fühlt sich an wie: „Ich könnte jederzeit gehen, wenn ich wollte.“
Aber sie geht NICHT.
Weil das Nervensystem sich an diesem Notausgang festhält wie an einer Sauerstoffflasche.
4. Das Nervensystem verwechselt Kontakt mit Sicherheit
Denn: Blockieren wäre - gefühlt - endgültig.
Endgültig aktiviert aber sofort (!) das Bindungsalarm-System:
Verlust! Trennung! Gefahr!
Also lässt sie weiterhin Grenzen überschreiten,
als würde ihr Körper sagen:
„Lieber toxischen Kontakt als gar keine Bindung.“
Das ist frühkindliche Überlebenslogik.
5. Scham hält sie gefangen
Sätze unter der Gürtellinie?
Tiefste Verletzungen?
Ein unsagbares Verhalten,
das jeder Axt im Wald Konkurrenz macht?
Genau DORT setzt das System an:
„Wenn ICH ihm doch noch etwas WERT wäre…
dann würde er sich melden.“
Die Psyche versucht jetzt den eigenen Wert
über den Täter zu reparieren!!!
Ein absolut hoffnungsloser Ansatz, aber ein überlebensrelevanter Mechanismus.
Weil das Nervensystem in solchen Momenten NICHT nach Glück strebt, sondern nach Fortbestand.
Es sucht nicht nach Liebe, sondern nach Regulation.
Und wenn die einzige Quelle, aus der jemals Nähe, Aufmerksamkeit oder vermeintliche Bedeutung kam, genau dieser Mann war, selbst wenn es zerstörerisch war, dann hält sich der Körper daran fest, wie an der letzten Sauerstoffleitung.
Der Täter wird zur „Notlösung“, weil das Nervensystem keine bessere kennt!
Es sagt: „Lieber ein weiterer Tropfen Gift als völlige (!) Verlassenheit.“
Liebe wird dann nicht mehr über Qualität definiert, sondern über Verfügbarkeit.
Schmerz + Aufmerksamkeit ist für das Überlebenssystem immer noch Bindung!
Und Bindung ist biologisch gesehen Sicherheit. Auch wenn sie dich innerlich tötet.
Warum fühlt sich „die Tür ist noch offen“ wie ein Beruhigungsmittel?
Weil das Gehirn Ambivalenz weiterhin als Hoffnung interpretiert.
Eine 0,1 %-Chance ist für das limbische System ein 100 %-Grund, weiterzuwarten!
Denn die größte Angst ist NICHT der Schmerz.
Die größte Angst ist die endgültige (!) Bedeutungslosigkeit.
Wann dreht sich das System?
Nicht durch Wut.
Nicht durch Vernunft.
Sondern durch die Neu-Konditionierung von Sicherheit:
- Sicher IST NICHT dieser/ ein Mann.
- Sicher IST das EIGENE Nervensystem.
Und nein, Blockieren ist kein „Akt der Härte“ in all diesen Fällen.
Blockieren ist hier ein medizinischer Eingriff:
1. Du kappst die Suchtquelle.
2. Du beendest die neurochemische Vergiftung.
3. Du gibst deinem Gehirn wieder Sauerstoff.
„Kontakt offen halten“ ist die emotionale Beatmung, die den Kollaps nur hinauszögert.
Die den unfassbaren Schmerz verlängert!
Blocken ist die Extubation.
Der Moment, in dem du wieder selbst atmest.
Und ja: Das ist schwer!
Mehr als das!
Aber nicht weil du schwach bist.
Sondern weil dein Nervensystem dich liebt
und überleben will.
Es muss jetzt erst wieder lernen:
Sicherheit ist kein Mann, der dich entwürdigt!
Sicherheit bist DU!
Warum „Blocken ist keine Lösung“ in solchen Fällen die größte Lüge ist.
Ich weiß. Es werden jetzt wieder welche schreien:
„Blockieren löst doch nichts!“
„Man muss doch erwachsen kommunizieren!“
„Das ist doch Kindergarten!“
Nein!
Denn die etablierte No-Contact-Regel ist kein trotziges Weglaufen.
Sie ist die medizinisch notwendige Intervention,
wenn ein System vergiftet wurde!
Blockieren ist:
- die radikale Unterbrechung der neurochemischen Sucht
- die Beendigung der emotionalen Gewaltspirale
- die Wiederherstellung deiner psychischen Integrität
- der Schutz deiner Würde und deiner Grenzen
- das Setting für Heilung
Nicht blockieren ist:
- Retriggern
- Reaktivierung der Sucht
- erneuter Kontrollverlust
- erneute Demütigung
- Wiederholung der Gewalt
Und deshalb ist dieser Satz so absurd:
„Blocken löst doch nichts.“
Doch! Und zwar genau das, was gelöst werden MUSS: Die Kontaktlinie, über die die Zerstörung fließt (!).
Blockieren ist Notwehr!
Denn es ist, systemisch betrachtet, der Abbruch der Täter-Dynamik.
Neurobiologisch betrachtet, der Entzug vom Dopamin-Cortisol-Cocktail,
der dich ABHÄNGIG hält.
Psychologisch betrachtet, die Reorganisation deiner Selbstachtung.
Wer in solchen Situationen „Blocken ist unreif“ ruft, hat keinerlei (!) Ahnung, wie Trauma-Bindung, Co-Abhängigkeit und emotionaler Missbrauch funktionieren.
No Contact ist NICHT die Flucht.
Es ist die Reanimation!
Der Moment, in dem du den Stecker ziehst
und das System wieder sicher machst.
Nicht für ihn.
Für DICH!
„Warum es das (mit) Schlimmste ist, was man einer Frau dann antun kann - wenn es von Freundinnen kommt“
„Wenn du jetzt nicht endlich aufhörst damit,
und mit diesem Typ, breche ich den Kontakt zu dir ab! Ich halte es nicht mehr aus, das zu sehen!!!“
Solche Sätze sind nicht nur hart.
Sie sind systemisch ein Verrat am Bindungssystem.
Denn: hier wird der Frau die letzte sichere Bindung gekappt.
Die, die jetzt eigentlich tragen soll.
Die, die jetzt halten soll, wenn sie ohnehin schon am Boden ist.
Denn was hört ihr Nervensystem wirklich?
- „Deine Not ist zu viel.“
- „Deine Wunde stört mich.“
- „Wenn du mir deine Verzweiflung weiterhin zeigst, verlierst du mich auch noch.“
Damit passiert Folgendes:
Der Schmerz über den Mann wird erweitert (!)
zu einem Schmerz über den Verlust des Frauenfeldes.
Und dieser Schmerz sitzt tiefer.
Weil Frauenfreundschaften oft das einzige Regulationssystem sind,
das den toxischen Bindungsstress überhaupt erst abfängt. Abfangen KANN!
Wenn in genau diesem Moment die Freundin sagt:
„Ich will und kann das nicht mehr sehen“, dann lernt das Nervensystem bestätigt:
- „Gefühle sind gefährlich.“
- „Bindung ist unsicher.“
- „Ich muss mich klein machen, um gehalten zu werden.“
Es passiert hier nun die Ultima Ratio des Trauma-Bondings: Sie klammert sich umso härter an den Mann, weil die einzige andere Bindung (Freundin)
jetzt auch wegzubrechen droht.
Und das ist das Wirkliche an dieser Grausamkeit:
Die Frau verliert jetzt nicht nur ihn,
sondern auch die, die sie jetzt retten könnte.
Statt Sicherheit: Isolation.
Statt Halt: Scham.
Statt Unterstützung: Abwertung ihrer Wunde.
Das ist die systemische Höchststrafe:
Eine Frau emotional zu verlassen,
genau dann, wenn sie sich zu retten versucht.
Warum ich das so schreibe?
Weil es nicht die Ausnahme ist.
Weil ich das viel zu oft höre.
Und weil ich sehe, was es in Frauen auslöst,
die ohnehin schon mit allerletzter Kraft
gegen eine zerstörerische Bindung ankämpfen.
Und damit kein Missverständnis entsteht:
Auch die Freundinnen, die sich zurückziehen,
verunglimpfe ich hier nicht!
Viele sind erschöpft, überfordert,
haben schon hundert Runden mitgetragen.
Das ist menschlich.
Das ist nachvollziehbar!
ABER, bitte:
Wir dürfen nicht so tun,
als wäre dieser Satz harmlos.
Denn in einem Moment,
in dem das Nervensystem einer Frau
nur noch an EINEM Faden hängt,
kann genau diese Aussage
der letzte Schnitt sein.
Sie nimmt ihr die letzte sichere Bindung,
den letzten Ort, an dem Gefühl erlaubt war.
Sie lässt sie zurück mit der fatalen Botschaft:
„Dein Schmerz ist zu viel – für JEDEN.“
Und das ist der Grund,
warum ich dieses Thema so deutlich benenne.
Weil an dieser Stelle so oft
aus Überforderung unbewusst
noch mehr Verletzung entsteht.
Und genau hier liegt EIN (!) Wendepunkt:
Wenn das Nervensystem begreift,
dass Sicherheit nicht durch diesen Mann entsteht,
sondern durch stabile Co-Regulation im eigenen Frauenfeld.
Wenn aus der Angst vor Verlassenheit
eine biologische Entwarnung wird:
Ich bin gehalten. Ich bin gesehen. Ich bin nicht allein!
In dem Moment verschiebt sich die Neurochemie.
Dopamin und Cortisol verlieren ihre Macht.
Oxytocin, Ruhe, Regulation übernehmen.
Der Körper hört auf zu kämpfen.
Er hört auf zu hoffen.
Er beginnt zu heilen.
Nicht sofort. Aber stetig!
Deshalb bleibe ich heute hier.
Deshalb gehe ich heute Nachmittag mit meiner Freundin in die Sauna.
Weil Bindung Heilung ist, wenn sie sicher ist.
Weil ihr Nervensystem genau dort neu lernt,
dass Kontakt nicht weh tun muss.
Dass Beziehung nicht gegen sie ist.
Dass sie sich nicht klein machen muss,
um gehalten zu werden.
Blockieren ist der Schnitt nach außen.
Frauenfeld ist die Reparatur nach innen.
Und in dieser Reihenfolge
findet ein weibliches System
zurück in seine Würde.
Zurück in seinen Körper.
Zurück zu sich selbst.
No Contact.
Ja! Für ihn!
Aber vor allem:
Für dich!
Herzlich, Sandra ❤️