01/11/2025
Es geht immer um den Menschen und um Sichtbarkeit
Ich nehme zurzeit so viele Medikamente wie schon lange nicht mehr. Und jedes Mal, wenn ich früher jemanden gesehen habe, der mit so einer Sauerstoffflasche unterwegs war, hab ich gedacht: Gott sei Dank brauchst du das nicht.
Und jetzt? Jetzt brauche ich sie selbst.
Schlafen kann ich kaum. Wenn ich es tue, dann nur kurz – zwanzig Minuten vielleicht – oder ich falle einfach aus Erschöpfung um, wache aber nach ein, zwei Stunden wieder auf. Dann kommt diese Angst. Dieses Gefühl, wieder mitten in dem Moment zu stecken, als das Feuer kam. Alles riecht danach, alles fühlt sich danach an. Mein Kopf bringt Schlaf durcheinander mit Tod, Chaos, Dunkelheit. Ich schrecke hoch, zittere, ringe nach Luft. Und merke: ich bin noch da.
Am 29. Januar 2001 – Hirnhautentzündung. Ich wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Wäre ich nur zehn Minuten später dort gewesen, wäre ich tot gewesen. Damals hat mein Körper einfach den Stopp-Knopf gedrückt. Ein Sicherheitsmodus, der mich komplett ausgeschaltet hat. Ich war weg – wie in einem Koma. Hätte ich damals sterben müssen, ich hätte es gar nicht mitbekommen.
Am 27. Oktober 2025 wäre das anders gewesen. Ich war zwar unter Schock, aber ich habe alles mitbekommen. Jeden Geruch, jedes Geräusch, jeden Moment. Und dieser Gedanke, dass ich hätte bei vollem Bewusstsein sterben können – dass ich diesen qualvollen Tod gespürt hätte – der verfolgt mich.
Und dann sind da diese Momente, wenn ich wieder hinüber in die Wohnung gehe, in der es gebrannt hat. Ich halte es dort keine zehn Minuten aus. Der Rauch steckt in den Wänden, der Geruch in der Luft, und ohne Maske kann man kaum atmen. Und trotzdem gehe ich immer wieder rein – wegen der Papiere, der Blumen, wegen Einauge. Wegen all dem, was noch gerettet werden muss.
Jedes Mal fühlt es sich an, als würde ich kurz in die Hölle hinabsteigen. Und jedes Mal denke ich: wie verrückt, dass ein Ort, der einmal Zuhause war, sich so feindlich anfühlen kann.
Und dann denke ich an die Menschen auf der Straße.
Vor elf Jahren, bei einer meiner ersten Touren, erzählte mir ein Mann, dass ihm nachts Ratten am Zeh knabbern. Ich habe das nie vergessen. Weil ich mir das einfach nicht vorstellen konnte – bis ich jetzt selbst das Gefühl kenne, nachts von etwas Unsichtbarem angefallen zu werden. Nicht von Tieren, sondern von Erinnerungen. Von Angst. Von dem, was bleibt.
Ich sitze hier in einer kleinen Ferienwohnung, wimmere vor mich hin, weil ich wenigstens ein Sofa habe, auf das ich mich setzen kann. Und genau das zwingt mich, weiterzumachen. Aber was ist mit den Menschen, die das nicht können? Die draußen liegen, wo niemand hinsieht, wo niemand fragt?
Wie verarbeiten die das alles – Gewalt, Kälte, Hunger, Verlust?
Wir reden so oft darüber, dass wir helfen. Aber viel zu selten darüber, warum Menschen überhaupt so weit kommen.
Wir sehen sie, urteilen, sagen „geh arbeiten“, „hör auf zu trinken“, „selbst schuld“. Aber keiner fragt, was passiert ist, bevor sie da landeten.
Vielleicht sollten wir endlich mal unsere eigene Geschichte neben ihre legen. Nur so können wir wirklich verstehen, was Menschsein bedeutet – wenn alles, was sicher war, plötzlich Feuer fängt.