25/11/2025
Wenn wir uns getriggert oder überfordert fühlen, reagiert das Nervensystem, bevor der Verstand nachziehen kann. Die Atmung wird flacher, der Brustkorb zieht sich zusammen, und der Verstand beginnt, Geschichten zu spinnen – oft beängstigende –, um das Gefühl zu erklären. Das ist der Kampf-oder-Flucht-Reflex, der genau das tut, wofür er geschaffen wurde: uns schützen. Doch in diesen Momenten erleben wir nicht mehr die Gegenwart. Wir erleben Erinnerungen, Erwartungen oder Angst.
Eine der zuverlässigsten Methoden, diese Kaskade zu unterbrechen, ist eine einfache Übung namens sensorische Erdung. Sie wird in der Traumatherapie eingesetzt, weil sie schnell und beständig wirkt, und kompetente Traumatherapie bietet eine ähnliche Praxis. Kehre zur direkten Erfahrung zurück. Komm zurück zum Körper. Komm zurück ins Jetzt.
Eine sensorische Überprüfung ist einfach. Spüre die Temperatur des Raumes auf deiner Haut. Nimm den Geruch in deiner Nase wahr, so subtil er auch sein mag. Spüre den Geschmack in deinem Mund. Lass das Licht im Raum in deine Augen fallen, ohne zu benennen, was du siehst. Lausche dem nächsten Geräusch und dann dem entferntesten. Spüre schließlich, wo die Schwerkraft auf deinen Körper wirkt – deine Füße auf dem Boden oder das Gewicht deines Sitzes auf der Stuhllehne. Diese einfachen Wahrnehmungen führen den Geist aus den Gedankenspiralen heraus und in die Unmittelbarkeit deines Lebens.
Die Neurowissenschaft erklärt, warum dies so zuverlässig funktioniert. Sobald du deine Sinne einsetzt, schaltet das Gehirn vom Ruhezustandsnetzwerk – den Schaltkreisen, die für Geschichtenerzählen, Grübeln und angstbasierte Vorhersagen zuständig sind in die sensorischen Netzwerke um, in die Bereiche, die Informationen in Echtzeit verarbeiten. Die Insula wird aktiviert und hilft dir, wieder mit den inneren Signalen deines Körpers in Kontakt zu treten. Die Amygdala beruhigt sich, da sie die Information erhält, dass keine Gefahr besteht. Und mit drei langsamen Atemzügen wird der Vagusnerv aktiviert, der Herzschlag stabilisiert sich und der präfrontale Cortex – dein Zentrum für Klarheit, Emotionsregulation und Perspektive – ist wieder aktiv.
Und etwas anderes geschieht, worüber selten gesprochen wird, was aber von großer Bedeutung ist: Dir stehen mehr Informationen zur Verfügung. Wenn der Geist in einer reaktiven Schleife gefangen ist, verengt sich dein Wahrnehmungsfeld. Das Gehirn priorisiert das Überleben gegenüber Nuancen. Man kann den Kontext nicht erfassen, keine Feinheiten wahrnehmen und keinen Zugang zur tieferen Intelligenz finden. Doch sobald sich das Nervensystem reguliert, weitet sich das Wahrnehmungsfeld wieder. Man hört mehr. Man sieht mehr. Man spürt mehr Möglichkeiten. Der Geist kann Komplexität erfassen, ohne in Angst zu versinken. In der Neurowissenschaft spricht man von der Wiedererlangung exekutiver Funktionen. In der Mystik ist es die Wiedererlangung von Weisheit.
Der Buddha verstand dies lange bevor wir Begriffe für neuronale Netzwerke oder Traumaphysiologie kannten. Er lehrte Achtsamkeit für Körper und Atem nicht als Ausweg aus Schwierigkeiten, sondern als Weg zu klarem Sehen. Wenn wir präsent sind, haben wir Zugang zur ganzen Bandbreite unserer Menschlichkeit – unserer Einsicht, unserem Mitgefühl und unserer Fähigkeit, angemessen zu reagieren. Erdung bedeutet nicht, Emotionen zu unterdrücken. Es geht darum, dem Nervensystem genügend Stabilität zu geben, um den Moment so wahrzunehmen, wie er ist. Wenn man zu den Sinnen zurückkehrt und langsam atmet, tritt man aus der alten Geschichte heraus und in eine Realität, die einen tatsächlich tragen kann. Der Körper erinnert sich an Sicherheit. Der Geist findet zu neuer Klarheit zurück. Und das Herz kann sich wieder öffnen.
In Momenten der Aktivierung ist dies die Tür: Spüre die Welt, atme bewusst und lass den gegenwärtigen Augenblick dir mehr zeigen, als die Angst sich vorstellen kann. Ich kann Dir gerne mehr zeigen!
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