04/08/2022
Jochen
Es gibt Tage, die sind anders, als die anderen.
Gestern war solch ein Tag.
Ich war mit Jochen (Name geändert) auf dem Friedhof in Emmerke, nachdem ich ihn abgeholt und in meinem Auto mitgenommen hatte.
Bei viel zu heißen 36 Grad standen wir wenig später in der prallen Sonne – ganz allein, nur wir beide, für einen kleinen Moment.
Niemand sonst würde kommen, das war vorher schon klar.
Und so habe ich mir schon vorher Gedanken gemacht, wie ich diesen Moment für ihn gestalten sollte.
Sicher würde ich ein paar Worte sagen, das war klar. Niemand sollte sang- und klanglos von der Welt gehen, egal was vorher war.
Aber was bloß, wenn man einen Menschen nicht kennt, was sagt man da?
Und so sprach ich mit Jochen und sagte ihm, dass ich nicht weiß, wie sein Leben war, dass ich aber hoffe, dass es für ihn gut war.
Ich vermute, dass er Fehler hatte, so wie jeder Mensch. Dass er vielleicht Menschen enttäuscht oder ganz und gar geschadet hat, ich weiß es nicht.
Und ich sagte ihm, dass ich hoffe, er sei friedlich eingeschlafen und wünschte ihm nun Frieden in seiner letzten Ruhestätte, einem anonymen Rasengrab hier auf diesem Friedhof.
Niemand würde ihn hier je besuchen, niemand würde hier jemals an ihn denken.
Ich ließ seine Urne langsam in das kahle Grab gleiten, betete ein Vater unser für ihn, gab drei Erdwürfe auf ihn: „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub, ruhe in Frieden.“
Auf dem Weg zum Auto sagte ich zu mir: „Ja, das haste gut gemacht, damit kannste leben.“
Jochen war erst nach vier Wochen tot in seiner Wohnung aufgefunden worden. Niemand hatte ihn vermisst, erst der fiese Geruch hatte dazu geführt, dass seine Wohnung geöffnet wurde.
Es mag ihm vielleicht nichts mehr nützen, aber mir war es wichtig, dass er wenigstens würdevoll bestattet wird.
Abends habe ich das meiner Frau erzählt und mit ihr ein Glas Whiskey auf ihn getrunken. Vielleicht hat er von oben gelächelt. Ich fühlte mich jedenfalls gut.
Marc Wechler