22/10/2025
Warum Nikkis Versorgung aus vielerlei Gründen ein "kleines Wunder" ist und Nicole Gottschalk von Tierliebe mit HandiCap eine totale Meisterleistung vollbracht hat? Und warum Nikki, trotz neuer Prothese, dennoch ihren Rolli vorerst weiterhin braucht?
Ich fange mit den Eckdaten an - Nikki ist eine dreibeinige, mittelalte, zum Zeitpunkt ihrer Ankunft bei uns ziemlich übergewichtige, ehemalige Straßenhündin aus Bulgarien, die die letzten 2-3 Jahre in einem kleinen Shelter verbracht hat, wobei sie in den letzten Monaten stark zunehmend immobiler wurde. Deshalb entschieden wir uns, mit Hilfe von Streunerhilfe Bulgarien e.V., Nikki zu helfen.
Die Versorgung mit einer Hinterhandprothese, wenn die Gliedmasse höher als das Sprunggelenk amputiert wurde, ist wahnsinnig herausfordernd und gilt in "Fachkreisen" als fast unmöglich. Dafür gibt es auch gute Gründe:
- Im Gegensatz zu den Vordergliedmaßen, sind Hintergliedmaßen anatomisch "steiler" gebaut. Dazu auch sehr konisch in der Form (s. Bilder unten). Während das Hinterbein vieler Hunde fast "gerade" und konisch zulaufend ist, hat die Vorderhand immer eine gute Winkelung im Ellenbogen und dazu den Olecranon (der so genannte Musikantenknochen) als markante "Ausbuchtung" und eine Art "Bremse" für die Prothese, so dass diese, einmal richtig angelegt, kaum herunter rutscht. Diese Art von "Bremse" wäre an den Hintergliedmaßen das Sprunggelenk mit der Ferse. Fehlt diese aber, wird es anatomisch bedingt sehr schwer mit dem Halt der Prothese. Siehe dazu die angezeichneten Bilder.
- Ist ein Hund bereits gewöhnt auf drei Beinen zu laufen, nimmt er sehr, sehr häufig die amputierte Gliedmaße hoch (immer nach vorne), damit diese nicht stört. Auch hier ist es bei der Vorderhand einfacher - Ellenbogen wird geknickt, die Prothese wird durch den Olecranon gebremst und rutscht nicht ab. Hinten jedoch, wird das Bein beim Hochnehmen meist gestreckt oder leicht gewinkelt. Die Prothese wird zusätzlich durch die Leistenfalte nach unten gedrückt, hat keinen anatomischen Punkt, der als Abrutschbremse fungiert und rutscht vom Bein ab.
Dies sind auch die Gründe, weshalb die Prothesenversorgung bei einem so kurzen Unterschenkelstumpf, wie bei Nikki, meist nicht funktioniert.
Warum wir uns dennoch für eine Prothesenversorgung entschieden haben?
1. Weil dies auch laut dem behandelnden Tierarzt die optimale Versorgung für Nikki ist.
2. Weil, egal was man euch erzählt - KEIN DREIBEIN KOMMT WUNDERBAR OHNE VERSORGUNG ZURECHT. KEINER! Jedenfalls nicht auf längerer Sicht. Jedenfalls nicht ohne Langzeitschäden an der Wirbelsäule und an den Gelenken der anderen Gliedmaßen. Daher - egal, was man euch erzählt, versorgt euren amputieren Hund - ob mit Rolli oder mit Prothese - sprecht mit eurem Tierarzt, mit eurem Tierphysio, mit eurem Sanitätshaus und findet gemeinsam die beste Lösung für euch und für euren Hund.
3. Was würde passieren, wenn Nikki z.B. etwas so häufiges wie einen Kreuzbandriss am verbliebenen Bein erleiden würde? Richtig - das wäre das Euthanasieurteil für sie.
4. Nicole und ich waren uns sicher, wir bekommen es gemeinsam hin. Genau so, wie wir uns ganz sicher waren, dass es sehr schwer werden wird.
Nicole hat an dem Technikwunder getüftelt und ich an der Vorbereitung und ab morgen an der Eingewöhnung.
Was haben wir gemacht? Nikki hat bereits 7-8kg abgenommen. Sie bekam viel Bewegungstherapie vorweg - Unterwasserlaufband und Spaziergänge im Rolli. Der Rolli ist unser wichtigstes Hilfsmittel in ihrem Fall. Sie akzeptiert ihn 100%, fühlt sich darin sehr stabil und sicher und das wichtigste - sie hat gelernt, das amputierte Beinchen im Rolli mitzubewegen, als wäre es noch dran.
Nicole hat viel überlegt, konzipiert und alles technisch mögliche getan - super Polsterung, Rückengurt, einstellbares Kniegelenk.
Dennoch waren wir heute beide mehr als erstaunt, als Nikki sofort nach Einsetzen der fertigen Prothese, ihre ersten Schritte damit lief. Leider kann ich komischerweise kein Video in dem Beitrag hinzufügen, deshalb poste ich es in den Kommentaren 🤗
Dennoch haben wir noch einen langen Weg vor uns. Vorerst ist ihr Kniebewegungswinkel sehr stark in der Beugung eingeschränkt (gewollt). Dies trägt ebenfalls dazu bei, dass sie ihre Prothese nutzt. Der Bewegungswinkel wird langsam und je nach Fortschritt größer gemacht. In den nächsten Tagen geht es darum, wenige Minuten am Tag, dafür aber ordentlich, mit Prothese und Rollstuhl zu laufen, das "Fremdkörper" zu akzeptieren und vor allem zu lernen, Last (Gewicht) auf die Prothese aufzunehmen.
Erst, wenn Nikki stabil und sicher die Prothese im Rolli nutzt, werden wir sie langsam durch "Tricks" von dem Rolli "entwöhnen" - ein Paar Tricks habe ich "auf Lager", wir wollen aber auch nicht gleich alles verraten 😉
Und irgendwann wird Nikki auf ihrer Prothese genau so flitzen können, wie Jessy auf ihren drei ❤️
Danke noch einmal, liebe Nicole, dass du so viel Herzblut und "creative mindset" in unseren "Behindis" reinsteckst ❤️