28/07/2019
UNmöglich
Untergang eines Traumberufs!
Wir schreiben das Jahr 1995. Gisela, die Erzieherin der Igelgruppe, sitzt mit dem dreijährigen Daniel am Basteltisch. Daniel ist wie alle anderen dreijährigen bereits Windelfrei. Er wird von seiner Mutter - wie fast alle Kinder - gegen 09:00 Uhr gebracht und kurz vor 13 Uhr wieder abgeholt. Manchmal kommen ein paar Kinder noch einmal zwischen 14 und 16 Uhr in die kleine Nachmittagsgruppe. Das Aus- und Anziehen beherrschen hier alle Kinder. Gisela betreut mit ihrer Kollegin Jutta 25 Kinder zwischen 3 und 6 Jahren. Beide lieben ihren Beruf und verbringen viel Zeit mit den Kindern. Vorlesen, schmusen, herumalbern oder einfach die Seele baumeln lassen. Gemeinsames Frühstück, ein täglicher Morgenkreis, regelmäßiges Basteln und musizieren, sowie viel sozialer Kontakt gehören zum Alltag der Erzieherinnen. Ab und wann finden Elterngespräche statt und natürlich auch ein Elternabend, in dem über Feste und Projekte gesprochen wird. Die Eltern hinterfragen die Arbeit der Erzieherinnen nicht, drängen sich nicht auf und auch wenn die Begriffe Kindergartentante oder Kindergärtnerin als übliche Anrede genutzt werden, so wissen doch alle, wer hier das Sagen hat. Giselas Alltag ist geprägt von klaren Regeln, sehr viel Zeit für die Kinder und Muse für alles, was Freude bereitet.
Gisela arbeitete 38,5 Stunden (Vollzeit) und hat eine unbefristete Stelle. Nach der Arbeit kommt Sie nach Hause, backt noch einen Kuchen, pflegt den Garten, lacht mit ihrem Mann über die Ereignisse des Tages und trifft sich abends noch mit Freundinnen.
Zeitsprung
Wir schreiben das Jahr 2019. Jana, die Erzieherin der Sternengruppe, sitzt am Schreibtisch im Gruppenraum und füllt den 15 seitigen Entwicklungsbogen für den dreijährigen Jonas aus. Jonas trägt wie viele andere Dreijährige noch eine Windel. Während Jana sich auf den Bogen konzentriert, wickelt ihre Kollegin Marta die dreijährige Marie. Marie hat frühkindlichen Autismus, jedoch fehlt seit Monaten eine geeignete Inklusionskraft, die Marie im Alltag begleitet. Morgens um 08:00 Uhr sind schon fast alle Kinder in der Kita. Viele können sich noch nicht alleine umziehen und brauchen Hilfe. Die Eltern haben viele Anliegen, hinterfragen regelmäßig die Entscheidungen der Erzieher/innen und fordern die kontinuierliche Abfolge spannender Bildungsprojekte, schulischer Angebote, Sprachenvielfalt, viel Bewegung und natürlich tägliches Rausgehen ein. Jana führt regelmäßige Elterngespräche und entwickelt komplexe Elternabende, mit großartigen Inhalten und professionellen Präsentationen. Sie erkennt zwar, dass die Kinder ein großes Bedürfnis nach Nähe haben, enormes Potential mitbringen und in vielen Konflikten eine helfende Hand benötigen, jedoch bleibt dafür einfach keine Zeit. Berichte schreiben, Beobachtungsbögen ausfüllen, Bildungsprojekte vorbereiten, Elterngespräche ausarbeiten, Kinderlisten aktualisieren und Konflikte mit Eltern austragen. Hinzu kommen die neuen und Zeitaufwendigen Aufgaben wie etwa, Sicherheitsbeauftragte, Erste-Hilfe Beauftragte, Brandschutzbeauftragte, Hygienebeauftrage und natürlich Essen zubereiten, Wäsche waschen, Spülmaschine einräumen und Einkäufe erledigen. Viele Eltern suchen in Jana eine Beraterin, eine Therapeutin, eine Seelsorgerin oder sehen in ihr eine unverschämte, inkompetente, faule oder egoistische Erzieherin. Janas Arbeit wird täglich auf den Prüfstand gestellt und mit den enormen Erwartungen der Eltern, der Bildungspläne und des Qualitätsmanagements abgeglichen. Sie schlägt sich mit kranken Kindern und diskutierenden Eltern herum, muss Sommerfeste mit Erlebnispark-Charakter planen, Frühenglisch anbieten, Eingewöhnungsgespräche führen und dabei die pädagogischen Attribute wie Pikler, Münchner EM, Montessori, Reggio und offene Arbeit beachten.
Jana arbeitet 40 Stunden und hat eine befristete Stelle. Nach der Arbeit kommt Jana nach Hause, legt sich vollkommen erschöpft auf die Couch und schläft ein.
Autor: Andreas von den
Fazit: Es geht hier nicht darum, dass damals alles besser war. Das war es nicht! Viele wichtige pädagogische und entwicklungspsychologische Aspekte waren nicht bekannt. Es gab keine Bildungspläne, keine Dokumentationspflicht oder sonstige zusätzliche Ämter, Aufgaben oder QM Standards.
Der Skandal in dieser Geschichte ist ein Anderer! Der Stellenschlüssel von früher ist fast der gleiche wie heute, jedoch hat sich das Belastungs- und Aufgabenpotenzial der Erzieher/innen verzehnfacht. Obendrein werden die Kitas immer größer, die Kinder sind unselbstständiger, kommen immer jünger und bleiben immer länger, die Ansprüche und Konflikte steigen exponentiell und die Entlohnung ist gemessen an der Preissteigerung von Lebensmittel, Miete, Versicherungen, Benzin, Strom Wasser und Heizung ein absoluter Witz.
Der Erzieher Beruf erfordert neue Konditionen, neue Rahmenbedingungen und eine enorme gesellschaftliche und finanzielle Aufwertung.
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