19/03/2021
cooles Interview mit Sascha Seifert, ca 2013...
-Funktional Training, ein interessantes Gespräch mit Sascha Seifert (Physiotherapeut, Dozent, Fachautor)
Hype? Trend? Oder einfach eine altbekannte Trainingsmethode die sowohl im therapeutischen Bereich als auch im Leistungssport lange angewandt wird.
Funktionelles Training ist ein spannendes und durchaus vielseitiges Thema und muss nach meiner Auffassung grundsätzlich aus zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Zum einen aus der Sicht des Trainers, der das Funktionelle Training beinahe in jede Trainingseinheit integrieren kann und zum anderen aus der Perspektive des Physiotherapeuten, der mit seinem Patienten speziell in der Sport Rehabilitation beachtliche Erfolge erzielen kann. Beide nutzen das Funktionelle Training und beide können aus Ihren Erfahrungen voneinander lernen, um für alle Sportler das Beste aus dieser Trainingsmethode zu vermitteln.
-Wie ist FT entstanden
Karsten Schellenberg:
Für mich ist das Training von verschiedenen, natürlichen Bewegungsabläufen der Muskulatur nichts Neues. Jeder aktive Sportler, egal aus welcher Sportart er kommt, wird Übungen aus seinen alltäglichen Trainings Einheiten wiedererkennen. Ein gutes Beispiel ist ein Lehrbuch aus den frühen 1990ziger Jahren von Dr. Med. Frauke Hofert,(Mein Instrument der Körper) die folgendes gut beschreibt:
„Die Ausgewogenheit zwischen Flexibilität, Stabilität und kontrollierter Bewegung ist also die Folge eines Zusammenspiels aller funktionellen Einheiten des Körpers“
Funktionelles Training wurde also nicht erfunden, sondern durch die zusammen Arbeit von J.Kliensmann und M.Verstegen bei der Deutschen Fußballnationalmannschaft in der breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht.
Sascha Seifert:
Das Denken in Funktionellen Muskelketten kommt aus Deutschland nicht aus den USA
Das Training in funktionellen Zusammenhängen ist auch nichts Neues, so hat erstmals Prof. Dr. Kurt Tittel schon 1956 in der ersten Auflage seines Buchs „ Beschreibende und funktionelle Anatomie des Menschen“ die Funktion von Muskeln in Ketten erklärt.
Leider wurde im Fitnesstraining in den letzten Jahren vermehrt der Ansatz des isolierten Muskeltrainings an Geräten gewählt und ganz vergessen, dass es eigentlich um die Funktion einer Bewegung nicht um Isolation einzelner Muskeln geht.
-Was ist Functional Training eigentlich?
KS:
Functional Training ist die moderne Beschreibung für ein individuell auf die Bedürfnisse des Trainierenden angepasstes Training, in dem ich zum einen Muskelketten zusammen trainiere und mit verschiedenen Trainingsmethoden verbinde und zum anderen verschiedene Bewegungsabläufe mit Hilfsmitteln zum Beispiel Gummiseilen erschwere und damit die Leistungsfähigkeit des Sportlers erhöhe. Im Freizeitbereich kann ich mit Funktionellen Übungen die Trainingsintensität zum Beispiel beim Lauftraining erhöhen, indem ich spezielle Musikgruppen stärke, die ich zum Laufen benötige.
Das gibt mir als Trainer unbegrenzte Möglichkeiten jede Trainingseinheit neu zu gestalten. Man kann Funktionelle Trainingseinheiten praktisch für jede Sportdisziplin benutzen. Sie stärken den Sportler, intensivieren die eigentlichen sportspezifischen Bewegungsabläufe und helfen dem Sportler beim Regenerieren. Funktionales Training erfordert immer die ganze Aufmerksamkeit des Trainers.
Sascha Seifert:
Das Wort Funktionell wird von Funktion (von lateinisch functio‚Tätigkeit‘, ‚Verrichtung‘) abgeleitet. Für mich steht das Funktionelle Training immer in Verbindung mit Bewegungsabläufen im Sport und im Alltag und mit den dazu benötigten Fähigkeiten des Bewegungsapparats.
Im Menschlichen Körper gibt es keinen Muskel, der isoliert arbeitet
Der Anatomische Aufbau des Muskelapparates besteht aus einer Verbindung von Muskeln zu sogenannten Muskelketten, es gibt eine hintere, vordere, seitliche, spiralige und tiefe Muskelkette. (n. T. Meyers) . Je nachdem welche Bewegung ausgeführt wird, arbeiten unterschiedliche Muskelketten. Beim aufrechten Stand wird z.B. die hintere Muskelkette am meisten angesprochen, sie beginnt unter dem Fuß und geht über die Wadenmuskulatur (Gastrognemii) , die hinteren Oberschenkelmuskeln (Ischiocrurale Muskeln) über das Becken (Lig. Sacrotuberale) in den großen Rückenstrecker (Errector Spinalis) bis zum Nacken und Kopfbereich.
-Wo wird FT eingesetzt?
KS:
FT eignet sich perfekt zur Leistungssteigerung bei allen Sportarten. Aber auch im reinen Freizeitsportbereich findet das Funktionelle Training immer mehr Anhänger, weil die Übungen ein gutes Körpergefühl vermitteln und ein Ganzkörpertraining ohne Geräte ermöglichen. Ich kann den gesamten Körper mit gezieltem FT für alle Freizeitsportarten präparieren, oder dem Klienten der gerade eine Menge Körperfett abtrainiert hat, die Muskulatur stärken und aufbauen.
Sascha Seifert:
Funktioneller Muskelaufbau von Kernkraft (Coremuskeln) und Muskelketten
Das funktionelle Training sollte generell im Sport und in der Reha eingesetzt werden.
Übungen können dann so fortgesetzt werden, wenn ein verletzter Sportler z.B. nach einer Knie Op behandelt werden muss, unter Anleitung eines Physiotherapeuten kann er weiter sein funktionelles Training ohne Kniebelastung fortsetzen und verliert nicht soviel Substanz.
-Was ist FT NICHT?
KS:
In den letzten Jahren haben sich aus vielen traditionellen Sportarten sogenannte Trend oder Modesportarten entwickelt. Aus dem stillen Joga in kargen Räumen wurde Power Joga mit Musik und in beheizten Tempeln um nur ein Beispiel zu geben. Ich finde es grundsätzlich Ok. Wenn man der breiten Masse neue Bewegungsarten anbietet. Für mich ist der Trainer die Hauptfigur, er ist für die fachlich korrekte Umsetzung verantwortlich. Wichtig ist das der Kunde nicht überfordert wird und keine Folgeschäden erleidet. Funktionelles Training ist nicht mit Akrobatik, oder Athletik zu verwechseln, kann aber sehr gut damit verbunden werden.
Sascha Seifert:
Es geht nicht um Akrobatik, das wird häufig nicht beachtet, sondern vielmehr den Bewegungsapparat richtig der Funktion entsprechend zu trainieren. Das Training der Muskeln reicht nicht aus, Faszien, Sehnen und Knochen kann man auch trainieren!
Übungen, die nicht den Muskelketten und physiologischen Bewegungsabläufen entsprechen sind kein Funktionelles Training, sondern oft sogar schädlich!
Was müssen Einsteiger ins FT beachten?
KS:
Einsteiger sollten zuerst unter Fachlicher Anleitung trainieren und sich vorher die Trainer gut aussuchen. Je nach Leistungsstand kann FT gleich in die Trainingseinheiten eingebunden werden und somit gezielt zur Verbesserung Sportartspezifischer Abläufe dienen. Bei Anfängern kann der Trainer FT Einheiten fast spielerisch als War Up oder Cool Down Fasen einbauen.
Sascha Seifert:
Schmerz als Grenze
Natürlich darf und muss es auch mal weh tun, aber wenn nach einer Trainingseinheit die Muskel-und Sehenansätze schmerzen war es zu viel.
Generell gilt, wenn es schon vor dem Training schmerzt, lieber eine Pause einlegen.
Gutes Training kann man lernen.
Wer funktionell trainieren will sollte sich vorher mit Literatur zu Thema beschäftigen oder sich von einem Personaltrainer in die Übungen einweisen
lassen, später kann man das Training dann selbstständig ausführen.