17/11/2021
Coronavirus Update (18.11.2021)
Wie es so zugeht.
Manchmal frage ich mich wirklich welche Vorstellungen Patienten von einer Arztpraxis oder einer Klinik haben. Viele natürlich die, dass einem dort gesundheitlich geholfen wird. Natürlich, das ist ja unser gemeinsamer Anspruch. Aber was wissen Patienten darüber mit welchem Aufwand (medizinisch und bürokratisch) dieser Anspruch unsererseits und dieses Begehren nach Hilfe patientenseitig erreicht wird?
Neulich kam eine Vertretungspatientin eines anderen Kollegen mit Beschwerden in die Praxis. Als ich nach den einzunehmenden Medikamenten fragte bekam ich zur Antwort dass sie „das alles“ gerade nicht so zusammenbekäme aber ich könne ja mal schnell bei ihrem Hausarzt in den Computer schauen. Sie war erstaunt als ich ihr erklärte, dass das überhaupt nicht möglich ist. „Ach, ich dachte...“.
Offenbar haben viele Patienten kaum eine Ahnung, wie es hinter den Kulissen einer Allgemeinarztpraxis oder Intensivstation zugeht (vielleicht kann eine dort beschäftigte Person ihren Eindruck und ihre Erfahrungen schildern).
ALLGEMEINARZT
1. Das Telefon: Derzeit unser „Feind“, denn es klingelt ohne Unterlass. Es vergeht kaum ein Minute an der nicht mindestens eine (häufig auch zwei) Mitarbeiterinnen „an der Strippe hängen“, nebenbei bemerkt, wir arbeiten mit Headsets, damit wir auch Anrufe entgegennehmen können, wenn wir uns einmal in einem anderen Raum befinden. Termine werden vergeben, Rezept- und andere Wünsche erfüllt, es erfolgen Beratungen (häufigste Frage: “wie ist denn das mit der dritten Impfung“ oder „ich hätte gerne am Donnerstag eine Coronaimpfung“ dazu später mehr) und, und, und. Zudem müssen wir auch selbst telefonieren, z. B. um Impftermine zu vereinbaren, Befunde mitzuteilen oder Patienten einzubestellen, wenn ein Gespräch mit dem Arzt notwendig ist. Nicht selten müssen wir uns dann auch „Vorwürfe“ (gelegentlich, aber nicht immer bös gemeint) anhören: „ e-n-d-l-i-c-h erreicht man euch mal, trinkt ihr nur Kaffee, oder was?“ (die harmlosere Variante). So etwas zermürbt.
2. Die Anmeldung: Hier trifft der Patient auf die Bürokratie. Patienten müssen in die Wartezimmerliste aufgenommen werden, ggf. muss auch die Versichertenkarte eingelesen werden, der Raum in den der Patient später kommen soll (je nach Beschwerdebild) muss ausgewählt werden um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Auch das kostet Zeit, parallel zu den eingehenden Telefonaten. Gleichzeitig dazu ordnet eine MFA Arztbriefe und Befunde zu (die andere telefoniert grad, was sonst). Häufig (jeden Tag mehrmals) stehen Patienten ohne Anmeldung vorwurfsvoll an der Anmeldung: „ euch erreicht man ja NIE, ich habe jetzt schon dreimal angerufen (ja klar, wir waren grad Kaffee trinken, nicht bös gemeint, aber mal ehrlich, wie sonst kann unter diesen Bedingungen ein Patient auf sich aufmerksam machen), ich brauche dringend einen Termin. Ok, wir schieben ein, wenn möglich und erforderlich, was auch immer wieder zu Diskussionen führt, die wiederum Zeit (die wir derzeit eigentlich nicht haben) kostet. Kritisch wird es immer dann, wenn ein Patient mit potenzieller Coronasymptomatik außerhalb der Infektsprechstunde plötzlich an der Anmeldung steht. Dieser wird konsequent der Praxis verwiesen und für die Infektsprechstunde eingeloggt. „Patient: aber ich hab doch nur...“. MFA: „NEIN, denn Sie haben möglicherweise... und wir haben gerade Risikopatienten in der Praxis “. Derartige Diskussionen erzeugen zusätzlichen Stress (derweil klingelt das Telefon...). Wir fragen zwar bei der Anmeldung Infektsymptome ab, aber manche Patienten berichten nur von z.B. Kreuzschmerzen und beim Arzt stellt sich dann zusätzlich heraus, wie neulich geschehen, dass man seit einer Woche hartnäckigen Husten und Halsschmerzen habe. Sorry, aber das ist der tägliche Irrsinn.
3. Die Infektsprechstunde: Jeden Tag gibt es einen bestimmten Zeitraum, in dem Infektpatienten getestet und behandelt werden. Das ist gut so. Hier erfolgt eine Trennung zwischen z.B. Verbandwechsel und Infekt. Schließlich wollen wir vermeiden, dass sich das Virus weiter vermehrt und andere Patienten infiziert werden. Das ist seit Anbeginn der Pandemie so und am Praxiseingang hängen entsprechende Hinweise und Informationen. Dennoch passiert es nahezu jeden Tag, dass irgendein(e) „Herr oder Frau Mustermann“ Einlass begehrt, weil er/sie jetzt mal schnell... Auch hier ein klares NEIN, gefolgt von Diskussionen (derweil klingelt das Telefon).
4. Testungen: Coronatypisch symptomhafte Patienten müssen mittels PCR Test getestet werden. Etliche Patienten meinen nun „ich gehe zum Arzt, Stäbchen rein und das war‘s. Sorry, war es leider nicht, zumindest nicht für die Praxis. Denn hier muss der Test (bei uns zumindest) online eingetragen und beim Labor angemeldet werden (Vorteil: damit kann das Labor seine Kapazitäten planen und Verzögerungen vermeiden). Die Proben müssen verwechslungssicher kodiert werden (mittels Barcodedrucker), was eine Eingabe ins Computersystem erfordert (kostet Zeit), es müssen dazu gehörige Formulare erstellt und ausgedruckt werden und es müssen jeweils unterschiedliche Abrechnungsziffern eingetragen werden (derweil klingelt das Telefon). Dazu muss ggf. entsprechende Schutzkleidung angelegt werden, was ebenfalls einen erhöhten Zeitbedarf mit sich bringt. Diese muss dann jeweils auch gewechselt werden. Auch das dauert und ja, das Telefon klingelt. Zusätzlich muss der Patient in einem (kurzen) Gespräch über nun notwendige Quarantänemaßnahmen bis zum Testergebnis informiert werden.
5. Die Impfung: auch hier ist es nicht getan, dass man einfach eine „Spritze“ verabreicht. Wir müssen mit verschiedenen Problemen kämpfen. Zum Einen ist da die Terminplanung, welche massiv Arbeit verursacht. Der Impfstoff (wir impfen derzeit ausschließlich Biontech/Pfizer) wird in Ampullen zu je sechs Impfungen geliefert und ist, nach Anbruch einer Ampulle nur wenige Stunden haltbar. Man braucht also mindestens sechs Impflinge pro Tag (wir schaffen, dank einer speziellen Technik meistens sieben Dosierungen, wobei die siebte Injektion „auf Abruf“ erfolgt, falls es einmal nicht funktioniert). Der Impfstoff ist sehr sensibel, er darf nicht erschüttert werden. Zudem muss er verdünnt werden. Das bedeutet: mehrmalige Kontrollen auf Verunreinigung. Schwenken statt Schütteln zum Mischen, erneute Kontrolle, Aufziehen in spezielle Spritzen... Auch hier ist ein immenser Aufwand nötig. Mit der Spritze allein ist es nicht getan. Zusätzlich muss das alles mit teils unterschiedlichen Abrechnungsziffern codiert werden und auch die Chargennummern der Impfung müssen pro Patient eingegeben werden. Manche haben auch ihre Unterlagen nicht dabei, auch hier muss eine Lösung gefunden werden. Das Telefon klingelt, Sie wissen es schon, weiterhin.
6. Unsere „normale“ Arbeit kommt dadurch immer mehr ins Hintertreffen. Wir möchten für unsere Patienten DA sein, wie früher. Aber das ist sehr schwer und es kostet sehr viel Kraft.
7. Vielleicht verstehen Sie jetzt , warum medizinisches Personal nicht mehr kann und es DESWEGEN einen Personalmangel gibt. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht, mehr geht nicht mehr. Und ja, ich „freue“ mich auf Schilderungen aus den Kliniken. Wie ist es da. Liebe Patienten , so einfach, wie es sich mancher vorstellen mag ist es nicht und ich bitte um Verständnis.
Bitte halten Sie sich an die Regeln, lassen Sie sich impfen und testen und bleiben Sie dadurch gesund.
Hans Joachim Schirner, prakt. Arzt, Langenfeld.