24/11/2018
Fühlen sie sich am morgigen Totensonntag herzlich eingeladen, um 14.00 Uhr auf dem Leipziger Südfriedhof in der Hauptkapelle eine gemeinsame Andacht zu feiern. Musikalisch wird diese Gedenkstunde gestaltet von Wolfgang Römer (Orgel) und Alexander Pfeifer (Trompete).
Für alle, die nicht vor Ort sein können, hier der Text meiner Ansprache:
Worte zum Totensonntag 2018
Dreifach ist der Schritt der Zeit.
Zögernd kommt die Zukunft herangezogen,
pfeilschnell ist das Jetzt verflogen,
ewig still steht die Vergangenheit.
(Friedrich Schiller)
Herzlich Willkommen zum diesjährigen Totensonntag, zur feierlichen Gedenkstunde hier auf dem Leipziger Südfriedhof. Die musikalische Begleitung für den heutigen Nachmittag erleben Sie durch Herrn Römer an der Orgel und Herrn Pfeifer an der Trompete. Mein Name ist Andreas Hähle. Ich bin von Beruf Trauerredner und freue mich, an diesem besonderen Tag einige Worte an Sie richten zu dürfen.
All jenen, welche in diesem Jahr einen lieben Menschen aus dem Leben verabschieden mussten, wünsche ich in dieser Zeit ein lebendiges Sein außerhalb jedweder Einsamkeit. Schwelgen Sie in angenehmen und liebevollen Erinnerungen und planen Sie Schönes für das nächste Jahr. Und nehmen Sie die gegangenen Menschen in Ihrem Herzen mit auf all Ihre noch anstehenden Reisen und Lebens-Abenteuer, auch in den Alltag. Nicht nur aber auch als Foto und indem Sie an diesen Menschen und mit ihm gemeinsam denken. Es gibt keine Gespräche, die der Tod unterbrechen kann. Erinnern Sie sich daran, wie es war, mit diesem Menschen gemeinsam zu lachen, zu weinen oder einfach über dies und das zu reden. Sie werden merken, wie wenig er sie alleine gelassen hat. Liebe, welcher Art sie auch immer gewesen sein mag, kann nicht vergehen.
Der Tod schockiert uns immer wieder. Er reißt Menschen aus unserem Leben und ja, er erinnert uns auch an die eigene Vergänglichkeit. Obwohl wir genau wissen, dass er zum Leben genauso dazu gehört wie das Leben selbst. Wir entstehen durch die Natur und gehen wieder in sie ein. Natürlich fragen wir nach dem Sinn des Sterbens, des Gehens. Der Sinn liegt in sich selbst, man kann ihn wohl tatsächlich nicht weiter begründen, aber wir können ihm einen Sinn geben, durch das Leben, durch das Leben mit einem Menschen, den wir nun verloren haben, aber vor allem durch das Leben, welches wir selber führen. Ja, es ist kurz. Und je älter wir werden, desto mehr wird uns das bewusst. Und wir grämen uns ein wenig, dass uns dieses Bewusstsein nicht schon in der Jugend zuteil wurde. Aber liegt nicht im Recht der Jugend auch die Unbekümmertheit und das Gefühl von Ewigkeit des Lebens? Erst wenn wir älter werden, wenn wir unser Leben selbst gestalten sollten, dann dürfen wir das Bewusstsein unserer eigenen Endlichkeit in uns tragen, nicht um uns zu fürchten, sondern als Motor, als Antrieb dessen, was wir tun und eben auch dessen, was wir hinterlassen, in den Gedanken, in den Herzen derer, die wir verlassen.
Wenn ein Mensch von uns geht, entsteht eine Leere. Der Platz, der bis dahin besetzt war, ist nun unbesetzt. Es fehlt die Stimme, das Atmen, das Gefühl von Anwesenheit. Und manchmal ist da dieses leise Gefühl von Wiederkehr, als würde es so etwas wie Unendlichkeit doch geben. Langsam, sehr langsam verlagert sich zum Glück dieses Gefühl. Die Anwesenheit kehrt zurück und nimmt eine andere Form an, die man als Erinnerung bezeichnen kann. Aber tatsächlich liegt das, was sich nicht wirklich beschreiben lässt, viel tiefer und es wird mit der Zeit eine Tiefe und auch eine Größe erreichen, die man im Nebel immenser Trauer noch nicht einmal erahnen kann.
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MUSIK
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Eines Morgens wachst du nicht mehr auf. Die Vögel singen, wie sie gestern sangen. Nichts ändert diesen neuen Tageslauf. Nur du bist fortgegangen. Du bist nun frei und unsere Tränen wünschen dir Glück. (Johann Wolfgang von Goethe)
Das eben ist uns allen vorbehalten. Jedem von uns. Aber wie gehen wir damit um? Wie gehen wir mit Menschen um, von denen wir wissen, dass sie gerade einen Angehörigen verloren haben. Oder mit Menschen, von denen wir wissen, dass - vielleicht durch eine ärztliche Diagnose - ihre Lebenszeit plötzlich auf absehbare Zeit begrenzt wurde. Was können wir tun für diese Menschen? Manchmal, und gerade in solchen Situationen, benötigt es keine Worte. Manchmal reicht eine Umarmung, ein stiller leiser Händedruck und schon ist das merkwürdige Gefühl, welches viel zu häufig verstummen lässt, nicht mehr da. Wir Menschen sollten immer und in jeder Situation einander zugewandt sein. Wir können das. Als ich Anfang diesen Jahres, mehr oder weniger bis zum heutigen Tag, durch eine Krebsdiagnose aus meinem normalen Leben gerissen wurde, war ich froh zu erfahren, wie viele Menschen um mich herum waren, mit mir sprachen, mir Trost spendeten und vor allem Zuversicht. Wir wissen eben nicht, was morgen sein wird. Wir wissen nur, was gestern war. Und genau das macht das Heute, macht jeden Augenblick unseres Lebens so wichtig.
Manchmal, wenn ein Mensch geht, schwanken die Gefühle der Menschen, die zurückbleiben, zwischen Trauer und Erleichterung. Die Erleichterung stellvertretend für den gegangenen Menschen im Sinne von Erlösung. Was schon zu Lebzeiten gefühlt werden konnte, was auch in der so nahen Trauer gefühlt wird und was darüber hinaus in Ihren Herzen vorrangig erhalten bleibt ist oft glücklicherweise Dankbarkeit. Und Demut vor dem gelebten Leben und der Art, wie dieser Mensch sein Leben bewältigte und gestaltete.
Wir können unseren Tod nicht wirklich bestimmen, aber unser Leben und somit auch das, was von uns bleibt.
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MUSIK
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Das Leben ist wie eine Zugfahrt mit all den Haltestellen, Umwegen und Unglücken. Wir steigen ein, treffen unsere Eltern und denken, dass sie immer mit uns reisen. Aber an irgendeiner Haltestelle werden sie aussteigen und wir müssen unsere Reise ohne sie fortsetzen. Doch es werden viele weitere Passagiere in den Zug steigen: Unsere Geschwister, Cousins, Freunde. Sogar die Liebe unseres Lebens. Viele werden aussteigen und eine große Leere hinterlassen. Bei anderen werden wir gar nicht merken, daß sie ausgestiegen sind. Es ist eine Reise voller Freuden, Leid, Begrüßungen und Verabschiedungen. Der Erfolg besteht darin: Zu jedem eine gute Beziehung zu haben. Das große Rätsel ist: Wir wissen nie, an welcher Haltestelle wir aussteigen müssen. Deshalb müssen wir leben, lieben, verzeihen und immer unser Bestes geben. Denn wenn der Moment gekommen ist, in welchem wir aussteigen müssen und unser Platz leer ist, sollen nur schöne Gedanken an uns bleiben und für immer mit den anderen im Zug des Lebens weiter reisen.
Aber so einfach ist das ja gar nicht in diesen Zeiten. Wie können wir mit diesem Thema, dem Leben und der Vergänglichkeit umgehen in einer Zeit, in der die Anwesenheit von WLAN wichtiger zu sein scheint als die Anwesenheit eines anderen Menschen. Wir sollten den Kindern schon sagen, dass Oma und Opa kein WhatsApp brauchen, um mit ihnen reden zu können, bei ihnen sein zu können. Sonst wäre es doch sehr traurig, wenn diese Gelegenheit, all das Schöne verpasst werden würde im Rausch der flirrenden Reize.
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MUSIK
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die zukunft ist ne abgeschossne kugel
auf der mein name steht
und die mich treffen muss
und meine sache ist wie ich sie fange
mitm kopf mitm hintern mit der hand
oder mit der wange
trifft sie mich wie ein torpedo
oder trifft sie wie ein kuss
die zukunft ist ein unentdecktes land
schnelle hasen wilde wölfe fülln den wald
und meine sache ist nun wen ich jage
ob ich mich zu den hasen oder zu den wölfen schlage
sterb ich mit den einen
oder werd ich mit den andern alt
die zukunft ist ein abgegebenes päckchen
das liegt auf der flurgarderobe und tickt leis
und ob ichs aufreiss oder ignoriere
obs voll sprengstoff ist oder voller wertpapiere
es ist mein ich habs bestellt
es ist mein erster preis
die zukunft ist die kleine blasse frau
die in zeitlupe aus meinen zimmern geht
und meine sache ist wie ich sie lasse
schieb sie oder nach ihr fasse
doch sie wird gehen so wie der wind
aus meinen segeln geht
Gerhard Gundermann
Unsere Zukunft, unser aller Zukunft liegt in der Gegenwart. Wir gedenken der Toten. Aber ehren können wir die Menschen nur richtig, solange wir leben. Denn auch die schönsten Zeiten, selbst wenn man das nicht glauben mag, so lange die Sonne in die Seele scheint, gehen einmal vorüber. Und manchmal kommt der Winter schneller als man dachte und vor allem als man es selber gerne gewollt hätte.
Wenn Liebe und Freundschaft jedoch ein ganzes Leben bestimmen, dann sind es nicht nur bloße Worte oder Begriffe. Dann ist es das Leben selbst und ganz und gar angefüllt mit ihm. Da wurde es gefühlt, erlebt und wenn man das gemeinsam fühlen und erleben kann, dann ist es das Größte, was sich tief in die Seele schleicht, was alles, was damit verbunden ist, unvergesslich macht - es ist ein Juwel, ein klarer Kristall, den man, unsichtbar, tief in sich trägt und den nichts und niemand mehr aus dem wiederliebenden Herzen entfernen kann. Auch nicht der Tod.
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MUSIK
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Man kann die Verstorbenen, die welche uns verlassen mussten, nicht mehr ehren als dadurch, dass man selber lebt, dass man selber jeden Tag genießt, es zumindest versucht und das Beste aus allem macht, was uns umgibt, aus den Umständen, die gerade in diesen Zeiten nicht immer die besten sind, da brauchen wir uns nichts vorzumachen und mit den Menschen, die uns auf unserem Lebensweg begleiten, die wir auf ihrem Lebensweg begleiten. Oft wissen wir erst hinterher, wie schön das Gestern war. Das muss nicht sein. Die Erde ruft uns, die Natur möchte ihren Preis, das ist eine unabänderliche Tatsache, dass wir wieder in einer anderen Form in sie eingehen. Wir sind sterblich und wenn die Wissenschaft nicht irgendwann einmal etwas anderes entdeckt, werden wir es bleiben. Unsere Tage sind gezählt vom ersten Augenblick an. Diejenigen, die uns verlassen mussten, werden wir vermissen. Und wir vermissen sie oft heftig. Das ist gut so, denn so sind wir bei ihnen und mit ihnen. Wenn es sein muss jeden Tag. Wo auch immer sie jetzt sind, sie haben unsere Erinnerungen und unsere Liebe. Mehr ist nicht möglich und mehr braucht es auch nicht. Wir nehmen mit, was sie uns gegeben haben und freuen uns über all das, was wir ihnen zu geben vermochten, als sie noch unter uns weilten. So möge es bleiben. In unseren Seelen, in unseren Herzen. Auch Trauer kann Freude in sich tragen. Oder wie Khalil Gibran einst aufschrieb: „Du magst den vergessen, mit dem du zusammen gelacht hast, aber nie den, mit dem du geweint hast.“ Das Vermissen kann positiv sein, denn so fühlen wir, dass wir Menschen kannten, die zu kennen sich mehr als gelohnt hat und dass wir die Ehre hatten und das Glück, bei ihnen geweilt haben zu dürfen. Gedenken wir der Toten mit Liebe. Und gestalten wir das Leben genauso. Das ist Ehrung und Andacht genug.
Ich wünsche Gesundheit und Mut, Stärke und Hoffnung. Bleiben Sie gesund oder werden Sie gesund, je nachdem, wie es Ihnen gerade geht. Ich wünsche Ihnen das Leben im Ganzen. Jeden Tag.