08/03/2021
Liebe Reiter und Pferdefreunde,
in Anbetracht der aktuellen Situation möchte ich hier ein paar Worte zum Herpesvirus verlieren. Leider entstehen immer wieder Falsch-Aussagen aufgrund von Unwissenheit. Ich hoffe, ich kann hier ein bisschen für Klarheit sorgen.
Herpesviren gibt es zahlreiche. Auch beim Pferd sind es fünf verschiedene. Wirklich relevant sind aber vor allem zwei, das equine Herpesvirus 1 und 4 (EHV 1 und EHV 4). Das EHV 4 verursacht eine Atemwegsinfektion. Beim EHV 1 gibt es zwei Typen. Der eine macht v.a. eine Atemwegsinfektion und führt zu Aborten, der andere ist für die schwere Form mit neurologischen Störungen und Aborte verantwortlich. Warum kommt es zu neurologischen Störungen? Weil es bei diesem Typ zu einer Infektion der kleinen Blutgefäße im Rückenmark kommt. Dadurch entstehen Entzündungsherde in diesem zentralen Nervengewebe. Und je nach Ausmaß dieser Entzündungsherde kommt es dann zu mehr oder weniger starken neurologischen Symptomen wie ataktischen Bewegungen (= unkoordiniert), Blasenlähmung oder Festliegen. Diesen schweren Symptomen gehen allerdings noch andere voraus, die häufig eher unbemerkt bleiben: Fieber, Leistungsschwäche/Müdigkeit, seröser Nasenausfluss. Ein weiterer Schaden, den das EHV 1 verursacht, sind Aborte trächtiger Stuten. Wie erfolgt denn nun die Ansteckung? Durch direkten Kontakt über Tröpfcheninfektion von Pferd zu Pferd - der Nasenausfluss ebenso wie die toten oder lebensschwach geborenen Fohlen mitsamt den Flüssigkeiten und Geweben, die dabei von der Stute ausgeschieden werden, enthalten Unmengen von Virus und sind hochansteckend. Die Übertragung kann aber auch indirekt erfolgen, z.B. über Hofkatzen, die mit ihren Pfoten Nasensekret eines kranken Pferdes durch den Stall trägt. Ebenso können durch die gemeinsame Nutzung von Tränkevorrichtungen oder Futtereimern Viren von einem Pferd zum anderen übertragen werden. Und der Mensch kann das Virus auch verbreiten, über Schuhe, Hände und Kleidung. Die Übertragung über den Luftweg (aerogen) über größere Distanzen ist dagegen sehr selten. Aus all diesen Gründen ist bei einem Herpesausbruch Hygiene sehr wichtig: Die betroffenen Pferde müssen umgehend von den gesunden isoliert werden. Bei den gesunden Pferden sollte 2x täglich Fieber gemessen werden, damit sofort auffällt, wenn eines erkrankt. Denn je früher eine Behandlung begonnen werden kann, umso größer sind die Überlebenschancen. Das Stallpersonal sollte die Reihenfolge einhalten: Vom gesunden Bereich in den kranken. Das heißt, erst die nicht betroffenen füttern, misten, etc. und dann erst in den Krankenbereich gehen. Danach müssen Schuhe und Hände desinfiziert und (Über-) Kleidung möglichst gewechselt werden. Es sollten auch Desinfektionsmatten aufgestellt werden, damit jeder, der den Hof verlässt, die Schuhe desinfizieren kann. Autos sollten am besten mit Abstand geparkt werden, damit auch die Reifen möglichst kein Virus verschleppen. Allerdings muss man auch sagen, dass das Virus außerhalb des Pferdes in trockener Umgebung nicht lange überleben kann.
Was kann man nun dagegen tun? Impfen, impfen, impfen! Wie kommt es denn dann zu der Aussage „Die Herpesimpfung bringt doch sowieso nichts!“? Es verhält sich so: Eine Impfung verhindert nicht die Infektion mit dem Virus, sie kann die Erkrankung aber wesentlich abmildern. Das erfordert aber zwei Voraussetzungen: 1. Das geimpfte Pferd hat ein gutes Immunsystem. Es kann beeinträchtigt sein durch eine andere Infektion, Wundheilung, Stress wie Transport, unliebsame Boxennachbarn, nicht artgerechte Haltungsbedingungen in größerem Umfang, etc. 2. Die Viruslast um das geimpfte Pferd herum ist nicht zu groß. Das heißt, es gibt nicht viele ungeimpfte Pferde in der Umgebung, die massig Viren ausscheiden. Was genau heißt das jetzt? Ein geimpftes Pferd ist umso besser geschützt, je mehr Pferde in der näheren Umgebung (gleicher Stall) geimpft sind und je besser das eigene Immunsystem ist. Andersherum heißt das aber leider auch: Wenn viele ungeimpfte Pferde in der näheren Umgebung (gleicher Stall) viel Virus ausscheiden und/oder das Immunsystem geschwächt ist, kann auch ein geimpftes Pferd erkranken. Und auch schwer erkranken oder sogar sterben (bei hoher Viruslast und/oder schlechtem Immunsystem). Deshalb wird gerne behauptet, die Impfung bringe nichts. Das stimmt aber natürlich gar nicht. Denn je mehr Besitzer ihre Pferde impfen lassen, umso geschützter sind die geimpften Pferde. Und außerdem gilt: infizierte geimpfte Pferde scheiden deutlich weniger Virus aus, als ungeimpfte und verringern dadurch die Viruslast in der Umgebung. Was heißt das für trächtige Stuten? Die sollten unbedingt nach dem Impfschema geimpft werden (s.u.) und dann nicht zwischen ungeimpfte, sondern nur zwischen geimpfte Pferde gestellt werden.
Wie sieht das Impfschema aus? Je nach Impfstoff unterschiedlich. BioEquin H und Duvaxyn EHV 1,4 werden zweimal im Abstand von 4(-6) Wochen geimpft. BioEquin H dann nach 3 Monaten erneut, Duvaxyn nach 6 Monaten. Dann bei beiden alle 6 Monate. Prevaccinol ist der einzige Lebendimpfstoff und muss das 2. Mal erst nach 3-4 Monaten nachgeimpft werden. Danach auch alle 6 Monate. Trächtige Stuten werden im 2. Monat + im 5. oder 6. Monat + im 9. Trächtigkeitsmonat geimpft. BioEquin H und Prevaccinol enthalten nur EHV 1, Duvaxyn enthält EHV 1 + 4. Aber die sogenannte Kreuzimmunität zwischen EHV 1 und 4 reicht aus, dass bei Impfung mit EHV 1 auch eine Immunität gegen EHV 4 gewährleistet wird (sozusagen als Nebeneffekt). Deshalb sind auch die erstgenannten Impfstoffe gegen beide Varianten wirksam.
Wie sind die gesetzlichen Vorschriften? Die EHV-Infektionen des Pferdes zählen (leider) weder zu den anzeige- noch zu den meldepflichtigen Krankheiten. Das heißt, es ist niemand zur Meldung verpflichtet, wenn es zu einem Ausbruch kommt. Und damit erfolgt manchmal die Kommunikation etwas schleppend – Tierärzte, Hufschmiede, Reitlehrer usw. kommen auf den Hof und wissen nichts von einem Ausbruch, erkrankte Pferde werden nicht isoliert bzw. gesunde Pferde werden noch aus dem Betrieb verbracht (in andere Betriebe oder Reithallen etc.), wodurch eine Verschleppung begünstigt wird. Außerdem ist die Herpes-Impfung im Gegensatz zu der Influenza-Impfung bisher noch keine Pflicht für die Turnierteilnahme. Auch das kann, wie der Fall in Valencia wieder bewiesen hat, zu fatalen Ausbrüchen führen. Denn ein Zusammentreffen vieler Pferde bedeutet immer Stress und damit Beeinträchtigung des Immunsystems. Und warum ist das schlimm? Weil ein einmal Herpes-infiziertes Pferd immer infiziert bleibt. Also es gilt: 1x Herpes immer Herpes! Das Virus zieht sich nur zurück und kommt wieder an die „Oberfläche“, wenn das Immunsystem beeinträchtigt ist – da reicht Stress oder eine andere auch kleinere Erkrankung und schon scheidet das Tier viel Virus aus (man denke an den Lippenherpes von uns Menschen). Erkranken muss es selbst nicht unbedingt.
Ich hoffe, ich konnte damit einige Fragen und Unsicherheiten klären. Eines bleibt mir noch zu sagen: Herpesausbrüche gibt es immer wieder, v.a. im Winter und Frühjahr. Das ist jedes Jahr gleich! Die Aufmerksamkeit, die Herpes jetzt gerade wieder erlangt hat, kommt nur durch die hohe Anzahl an betroffenen Tieren zustande. Und das lag daran, dass es sich hier um ein internationales Turnier mit sage und schreibe 752 teilnehmenden Pferden gehandelt hat! Dennoch gibt es solche Ausbrüche jedes Jahr auch hier bei uns, nur dass sie nicht immer so bekannt werden, weil es eben keine Meldepflicht gibt.