13/10/2022
Meine lieben Patienten, Kunden sowie Gäste unserer Praxis!
Der folgende Beitrag wurde von einem Kollegen einer anderen Praxis geschrieben und ich bat darum ihn teilen zu dürfen.
Seit 2007 bin ich selbstständig und die Tage bekam ich ein Danke für 15 Jahre Chef von meinen Kollegen. Alleine fing ich an mit meiner Mama als Rezeption
mit Papierplanung. Die Praxis wurde größer, wir investierten, bauten um, kauften neu, immer mit der Idee dem Patienten die beste Therapie anbieten zu können. Ein Kommen und Gehen von Therapeuten in einem gewissen Rahmen ist fast normal, man möchte Neues sehen, sich weiter entwickeln, keine Frage. Aber es kommt kein Personal nach. Den Kleinen fällt es immer schwerer sich zu halten, das Persönliche zu Umsorgen, was sich Patienten wünschen, weiter zu stemmen.
Ich habe Aushänge an der Straße, vor Schulen, im Internet, überall, aber Personal? Fehlanzeige. Meinen 2Ten Sitz habe ich geschlossen und Patienten sind enttäuscht das wir teilweise neue oft nur schwer in die Pläne bekommen, da der „Ruf“ gut ist, aber die „Praxisstärke“ durch Personalmangel zu dünn ist. Therapeuten kommen nicht nach oder wechseln in Berufe welche weniger abverlangen aber trotzdem gleich, meisst eher besser bezahlen. Und in unserer Branche ist es so schwer wie nirgendwo sonst ausländisches Personal mit Erfahrung und Urkunden etc. in unserem Beruf arbeiten zu lassen.
Vielleicht hilft das Folgende an Verständnis!
The big quitt in German Physiotherapy
Nicht nur unter den Angestellten, sondern auch unter den Praxisinhabern, findet eine "Welle des Hinschmeißen" statt. Aber warum? Ich versuche es mal zusammen zu fassen.
Therapeuten starten ihre Laufbahn im Idealismus. Sie möchten Menschen helfen, mehr nicht. Die Idealitätsillusion mal ausser acht gelassen. Bis 2018 durften sie dafür auch noch bezahlen. Meine Ausbildung fand an einer privaten Schule für Physiotherapie statt und hat 16.000 € gekostet. Weil es die einzige Schule in der Nähe war. Der Ruf war sehr gut und reichte so weit, das meine Mitschüler aus allen Ecken Deutschlands zusammenkamen. In der Ausbildung kein Einblick in die zukünftige Realität. Alles eingepackt in Watte. Bloß nicht's sollten wir davon mitbekommen, wie es danach aussieht. Heute stehen diese Informationen zur freien Verfügung und deshalb möchte nicht jeder diesen Weg gehen.
Denn die Realität sah für mich wie folgt aus: Nachdem ich ein Jahr in Zivildienst mit einer 40h/Woche und 400 € gearbeitet habe, nahm ich 2001 eine Stelle in Solingen an. Wieder 40h/Woche für 9,30 €/h. Die Praxis habe ich 2013 verlassen, mit einigen Fortbildungen und 12 €/h. Heutigem Mindestlohn. Erschreckend und leider auch 2022 Realität für Therapeuten, gerade in den neuen Bundesländern. Praxen welche für Oktober 2022 ihren Therapeuten 12€/h zahlen, weil sie es MÜSSEN. Dem Mindestlohngesetz geschuldet. Hier kann ich sogar den GKV-SV verstehen, wenn sie sagen, daß die Erhöhungen der Vergütung nicht bei den Angestellten ankommen. Am anderen Ende Deutschlands werden von Therapeuten, die frisch aus der Schule kommen, mindestens 20 €/h gefordert. Weil sie es zum Leben benötigen. Auch eine Forderung die ich absolut nachvollziehen kann. Gerade wenn ich mir die Gegenrechnung zum Bürgergeld anschaue.
Nur mal den Lohn als Orientierung genommen, führt zu dem Ergebnis, daß vor 20 Jahren es möglich war davon zu leben. Als Single ohne Verantwortung für andere. Heute im Jahr 2022 ist das nicht mehr möglich. Die Erhöhungen der GKV lag seit 1990 nicht einmal in der Nähe der Inflation. Das große Wort "Grundlohnsummenbindung" wurde fast 30 Jahre lang vom GKV-SV als höchstmöglicher Wert der Vergütungserhöhung bezeichnet und auch durchgesetzt. In der Realität diese weit unter der Inflationsrate und war nichts anderes als ein "Reallohnverlust", denn die GKV-SV verhandelte sogar unter der Grundlohnsummenentwicklung. Erhöhungen von 0,35% und andere lustige Witze lagen in dieser Zeit. Eine systematische, fast dreißig Jahre andauernde, Zerstörung der Wirtschaftlichkeit aller Heilmittelerbringer. Dann kam das TSVG und es schien, das die Sonne endlich wieder aufgeht.
Die Realität sieht wieder anders aus. Für jeden Millimeter über Horizont, überlegt sich der GKV-SV wie er die Mauer des Schattens über die Sonne baut. Weniger Bürokratie bedeutet nämlich, das, trotz erbrachter Leistung, hart daran gearbeitet wird, die Leistung in der Bezahlung zu reduzieren oder gar komplett abzusetzen. Das ganze in Vertragspartnerschaftlichkeit natürlich. Es werden Heilmittelerbringer am langen Arm verhungert, weil einzelne Kostenträger einfach nicht oder sehr verspätet zahlen. Der schwarze Peter wird dann zwischen der Krankenkasse und deren Abrechnungzentrum hin und her geschoben. Es wird von den Kassen akzeptiert hohe Strafen zahlen zu dürfen, wenn sich gewehrt wird. Bezahlt das die Krankenkasse und somit der Beitragszahler oder doch das Abrechnungszentrum im Rahmen einer Vertragsstrafklausel? Doch viele können es nicht oder wollen es nicht, aus finanziellen Gründen. Warum +40 € investieren um die rechtmäßig zustehenden 40 € zu bekommen? Wenn sich doch gewehrt wird, wird bevor der Gerichtstermin kommt, einfach gezahlt. Die Anwaltskosten bleiben dann aber aussen vor. Selbst wenn die Kasse ganz frech die Mahngebühren weglässt. Die Vorgeschichte ist nämlich die: Komplett random dürfen die einen Praxen alles per normaler Post versenden aber andere Praxen werden zum Einwurfeinschreiben genötigt. Weil: "Der Brief von ihnen, ist hier nicht eingegangen!". Egal ob Zuzahlungsrechnung, Verzugsrechnung oder neuerdings ganze Abrechnungen. Gehen einfach verloren. Hunderte Verordnungen sind nicht auffindbar. Rettung für diejenigen die ihre Verordnungen einscannen. Kaum erwähnt, dass der Scann vorhanden ist oder gewehrt per Anwalt ... "Gefunden, ... hinterm Klo gleich links!" Manche Kollegen berichten davon, daß Abrechnungen zwar bezahlt werden, aber ... Ohne Rechnungsnummer oder/und in Stückelungen. Also wenn ich eine Rechnung bezahle, ohne Hinweis wofür, dann gilt diese erst einmal als nicht bezahlt. Im Kaufmännischen Bereich gilt das als unprofessionell, wenn derartige essentielle Angaben fehlen. Sytematisch wird hier bürokratischer Balast erzeugt um zu zermürben.
Die aktuellen Verhandlungen sind derzeit enttäuschend. Grundsätzlich möchte ich aber klarstellen, daß es völlig normal ist, das verhandelnde Parteien schweigen. Denn die wenigsten können mit den einzelnen Verhandlungsschritten mithalten. In der Vergangenheit hat es sich immer wieder gezeigt wie verheerend es sein kann, wenn Vorabinformationen aus dem Kontext gerissen von der Community zerrissen wurden. So kann ein gebendes Angebot, für den Einkauf eines besseren Inhaltes, aus den Kontext gerissen, komplett falsch verstanden werden. Professionelle Verhandlungen laufen so ab. Andererseits sitzen dann aber auch Menschen voreinander die sich respektieren und vom Fach sind. Nicht so wie die aktuellen Verhandlungsführenden. Beiderseits natürlich gemeint.
Das aktuelle Angebot lautet 2,38% mehr. Bei 10,0% Inflationsrate wäre "Witz" eher eine Beleidigung für den Witz. Schau mal bei destatis vorbei, dann siehst du die echte Inflationsraten. Denn die 10,0% sind eine Mischinflation.
● Heizöl = +111,5 %
● Erdgas = +83,8 %
● Energie = +44,9 %
● Diesel = +36,1 %
● Lebensmittel = +18,7 %
● Dienstleistungen = +2,9%
● Bekleidung = +2,6 %
● Bildung = +1,8 %
● Gesundheit = +1,6 %
● Telekommunikation = -0,4 %
Das sind unsere echten Sorgenkinder. Denn den Angestellten geht langsam die Luft aus. Selbst der Inflationausgleich von 3.000 € kann von vielen Praxen nicht gestemmt werden, es fehlt auch diesen an Luft nach oben. Schliesslich ist die Inflationsrate nicht auf Angestellte beschränkt. Der GKV-SV bietet uns dann was an? Sage und schreibe +2,38% und die exorbitant hohe Vergütung von 1,50 € pro Verordnung für Hygiene endete ersatzlos am 30.06.2022. Wehe dem der diese danach noch abrechnete. Drohte doch direkt die DAVASO mit Konsequenzen für "Systematische Falschabrechnung". So als Vertragspartnerschaftlicher Hinweis.
Wer jetzt denkt: "Wow, das ist nicht zu toppen!" Warte mal ab, kommt noch was. 2021 vereinbaren der GKV-SV mit den Berufsverbänden, nach ewig lang verzögerten Verhandlungen und Schiedspruch, eine Vergütung von +14,08 % um dann im Anschluss zu der Kassenärztlichen Vereinigung zu gehen und eine "Zielvereinbarung
zur Steuerung der Heilmittelversorgung 2022" zu vereinbaren. Inhalt: Laut Anlage der Vereinbarung sollen 7% weniger Verordnungen für Physiotherapie ausgestellt werden. Rausgekommen ist es in Schleswig-Holstein, dürfte aber in den restlichen 15 Bundesländern nicht anders sein. Fakt ist, mit der einen Hand reicht man 14 % um mit der anderen direkt die Hälfte wieder einzukassieren.
Das alles macht es den Praxisinhabern immer schwerer mit der Situation umzugehen. Der gegebene Rahmen wird immer enger gesteckt und gleichzeitig wird noch Sand ins Getriebe geschüttet. Leider aus den eigenen Reihen. Da wird der 1.500 € Coronabonus als Lockmittel für Bewerber genutzt. Als Wechselbonus oder als Prämie nach der Probezeit. Erste Fälle ploppen auf, das der Inflationsausgleich von 3.000 € auch diesen Weg finden wird. Diejenigen tun sich damit keinen Gefallen, denn zu den Gehaltsfragen kommen ja noch die Rahmenbedingungen zur Therapie. Diese sind auch ein Begründer das viele Therapeuten dieser Arbeitswelt den Rücken kehren. 15 Minuten Therapie bringen einen Patienten ebensowenig weiter, wie das Bild eines Glases Wasser einen verdurstenden in der Wüste. Gerade Generation-Z sucht nach Sinn und Erfüllung im Job.
Wir werden bleiben, für unsere Patienten, aber für fehlendes Personal, lange Wartezeiten und mehr können wir als Praxis nichts. Ich selber bin über 50h die Woche am Patienten plus Büro. Im
Moment beschäftigen wir zusammengefasst etwas mehr als 2 VZ Rezeptionskräfte. Laut Rahmenvertrag mit den Kassen gehört diese Tätigkeit auch zur Therapie, sprich Termine planen, das Telefon bedienen, Rezepte prüfen und anlegen und Einges mehr. Was wäre dann von der Therapie noch übrig?
Wie oben erklärt möchte ich ein wenig Einblick gewähren „hinter die Kulissen“ der Praxis Sandmann.