08/11/2025
Auf dem Weg zu einer Fortbildung habe ich die Zeit im Zug für mein berufspolitisches Herzensthema genutzt. Daraus ist – wieder einmal – ein längerer Artikel geworden.
Bitte nehmen Sie sich einen Moment Zeit zum Lesen – das Thema betrifft auch Sie.
**Tierärzte unter der Lupe – Was die britische Wettbewerbsbehörde über Investoren in der Tiermedizin herausgefunden hat**
Ich mache seit Jahren kein Geheimnis daraus, dass ich der festen Überzeugung bin, dass die Tiermedizin nicht in die Hände von Finanzinvestoren gehört.
Das gilt im Übrigen für alle freien Berufe – Ärzte, Zahnärzte, Steuerberater und Rechtsanwälte – um nur einige zu nennen.
Es besteht die große Gefahr, dass der eigentliche Inhalt des freien Berufes, nämlich dem Nächsten zu helfen, dem Kommerz untergeordnet wird.
Die Rechnung ist einfache Grundschulmathematik:
Wenn bestehende Tierarztpraxen und Tierkliniken einen zusätzlichen organisatorischen „Wasserkopf“ mit hohen Personalkosten finanzieren müssen, geht das nur über wenige Wege:
Preise rauf
Kosten (Personalkosten!) runter
Synergieeffekte nutzen
Durchdringungstiefe erhöhen
Während sich die ersten beiden Punkte selbst erklären, erlauben Sie mir zwei Sätze zu den letzten beiden Punkten.
Ein Synergieeffekt könnte sein, dass Sie nicht zum nächsten oder für den Fall besten Tierarzt überwiesen werden, sondern zu einem Kollegen, der zum gleichen Investor gehört.
Eine hohe Durchdringungstiefe in der Wertschöpfungskette der Tiermedizin erreicht ein Investor, wenn er nicht nur Tierarztpraxen betreibt, sondern auch Überweisungskliniken, Einsendelabore und Tierkrematorien.
Wenn dieser Investor zusätzlich Geräte und Software für Tierarztpraxen und Tierkliniken vertreibt, erhöht sich die Durchdringungstiefe nochmals.
Futtermittel und Tierkrankenversicherungen könnten das Bild abrunden.
Ich denke, die Spannungsfelder und Interessenkonflikte sind offensichtlich und müssen nicht näher erläutert werden.
Diese Entwicklung nahm in Großbritannien ihren Anfang – und das Vereinigte Königreich ist Deutschland etwa fünf bis sieben Jahre voraus.
Und tatsächlich ist die Situation genau so gekommen, wie es die Skeptiker dieser Entwicklung befürchtet hatten.
Deswegen hat die britische Wettbewerbsbehörde, die Competition and Markets Authority (CMA), erstmals umfassend untersucht, wie fair der Markt für tierärztliche Leistungen tatsächlich funktioniert.
Das Ergebnis: Viele Tierhalter zahlen zu viel – und wissen es gar nicht.
Hintergrund der Untersuchung
Immer mehr Tierarztpraxen gehören großen Ketten oder Finanzinvestoren.
Diese sogenannten „Large Veterinary Groups“ (LVGs) betreiben inzwischen Hunderte Standorte in Großbritannien.
Die CMA wollte wissen:
– Hat diese starke Konzentration Folgen für Preise und Qualität?
– Können Tierbesitzer noch frei und informiert entscheiden, wohin sie gehen?
– Wie transparent sind Preise, Behandlungen und Medikamentenkosten?
Über 56 000 Tierhalter und Tierärzte haben geantwortet – so viele wie nie zuvor bei einer Marktuntersuchung dieser Art.
Die zentralen Erkenntnisse bislang
Preise steigen – Transparenz fehlt
Die Gebühren für tierärztliche Leistungen sind in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen.
Laut der britischen Wettbewerbsbehörde (CMA) wuchsen die durchschnittlichen Behandlungspreise zwischen 2016 und 2023 um 63 %, während die allgemeinen Dienstleistungspreise (Inflation) im gleichen Zeitraum nur um 32 % zunahmen.
Auch die Gesamtkosten eines ersten Behandlungsjahres („first-year treatment cost“) stiegen um 53 %.
Für Tierarztpraxen, die zu großen Konzernen gehören, liegen die Preise im Durchschnitt 16,6 % höher als in unabhängigen Praxen – mit einer Spannbreite zwischen rund 5 % und 25 %.
Viele Praxen veröffentlichen keine Preislisten, und Tierhalter erfahren häufig erst beim Bezahlen, was eine Behandlung kostet.
Nur wenige vergleichen aktiv Preise – oft aus Vertrauen oder Zeitdruck.
Große Ketten dominieren den Markt
Sechs große Konzerne (u. a. CVS, IVC, VetPartners, Medivet, Linnaeus, Pets at Home) besitzen inzwischen den Großteil der Kliniken.
Diese Gruppen kaufen unabhängige Praxen auf, behalten den alten Namen – und erhöhen danach schrittweise die Preise.
Laut CMA lässt sich dabei keine Verbesserung der Qualität feststellen.
Tierärzte verkaufen auch in UK Medikamente – meist teurer
Viele Behandlungen enden mit dem Verkauf von Medikamenten direkt in der Praxis.
Dabei dürfen Tierhalter sich in Großbritannien eigentlich ein Rezept ausstellen lassen und das Medikament woanders (z. B. online) günstiger kaufen – oft 20–30 % billiger.
Doch nur 16 % der Kunden in UK nutzen diese Möglichkeit.
Grund: Kaum jemand weiß, dass er ein Recht darauf hat.
Ein besonderes Schmankerl dabei ist die Tatsache, dass viele der Online-Apotheken wiederum ebenfalls Investoren gehören.
In Deutschland ist diese Situation rechtlich anders gelagert: Die Tierarzneimittelpreise sind gesetzlich reguliert.
Verträge und Zusatzangebote binden Kunden
Sogenannte „Pet Care Plans“ (monatliche Vorsorge-Abos) oder langfristige Verträge für Notdienste („Out-of-Hours-Services“) erschweren den Wechsel zu einer anderen Praxis.
Auch emotionale Faktoren – Vertrauen, Nähe, Sorge ums Tier – machen Tierhalter weniger preissensibel.
Der „Human-Animal-Bond“ und wie man diese emotionale Bindung in bares Geld umwandeln kann und sollte, war übrigens bereits vor etlichen Jahren in den USA auf einem der größten Tierärztekongresse mit über 16 000 Teilnehmenden ein Top-Thema.
Kremationen – es ist kaum ein Vergleich möglich
Viele Tierhalter kaufen in Großbritannien im Trauerfall direkt die Kremationsleistung über die Praxis.
Die CMA fand heraus: Hier werden oft hohe Aufschläge verlangt, ohne dass Tierbesitzer wissen, welche Alternativen es gibt.
Was die CMA kritisiert
Die Behörde kommt zu dem Schluss, dass der Markt nicht mehr fair und transparent funktioniert.
Tierhalter können Preise, Qualität und Eigentumsverhältnisse kaum vergleichen.
Das führt zu höheren Kosten für Tierhalter, verbunden mit weniger Auswahl an unabhängig agierenden Praxen und Kliniken.
Geplant sind daher:
– Pflicht zur Preisveröffentlichung (z. B. auf Praxiswebsites)
– Kennzeichnung der Eigentümerstruktur (Kette oder unabhängig)
– Bessere Information über Rezeptrechte (UK-spezifisch)
– Regeln für faire Vertragslaufzeiten bei Notdiensten
– Überprüfung der Rolle des Berufsverbands RCVS, der bisher nur Tierärzte, aber keine Unternehmen reguliert
Wie es in UK weitergeht
Die CMA sammelt derzeit Stellungnahmen von Tierärzten, Verbänden und Tierbesitzern.
Der Endbericht erscheint im Mai 2026 und soll konkrete Maßnahmen enthalten, um mehr Wettbewerb, Transparenz und Verbraucherschutz zu schaffen.
Was bedeutet das für Sie als Tierhalter in Deutschland?
Fragen Sie auch bei uns aktiv nach den Preisen und der zugrunde liegenden Leistung, wenn eine Behandlung ansteht.
Erkundigen Sie sich nach der Eigentümerschaft einer Praxis – ist sie wirklich unabhängig?
Bleiben Sie informiert und fragen Sie nach.
Nicht alles muss zwingend in einer (investorengeführten) Tierklinik durchgeführt werden.
Fazit
Die Untersuchung zeigt bislang sehr deutlich:
Transparenz, Fairness und Wettbewerb müssen auch in der Tiermedizin selbstverständlich bleiben – damit das Vertrauen nicht ausgenutzt wird und gute Tiermedizin weiter bestehen kann.
Herzliche Grüße und bis bald!
Dr. Klaus Sommer
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