15/12/2023
Ich habe länger überlegt, ob ich diesen Beitrag posten kann, da ich mich auch selbst oute. Andererseits finde ich, das Thema wird noch immer zu sehr tabuisiert. Es geht um Depressionen und Wochenbettdepression.
Ich habe in meiner Praxis viele Frauen betreut, für die diese erste, eigentlich schöne Zeit, einfach nur schrecklich und traumatisierend war (inkl. Geburtstraumata).
Im Jahr 2005 kam mein Erstgeborenes relativ unkompliziert auf die Welt, alles schick, strammer Bursche, gesund, was will man mehr.. Naja, das Kind ernähren will Frau zum Beispiel, irgendwie… Und dieses kleine Würmchen, das mach ich doch kaputt beim windeln 🫣 die ersten Sorgen und Nöte eben. Laut der Schwester aber, die mir das wickeln einmal zeigen sollte (und wer Jungs hat,weiß das es da durchaus Besonderheiten gibt) sollte ich mich mal nicht so anstellen und zupacken, es wäre schließlich mein Kind… Stillen klappte auch eher nicht; nachts habe ich schon gar nicht mehr geklingelt, sondern holte immer ein Fläschchen selbst - jedes Mal wurde mit den Augen gerollt, was ich wollte, ich hätte alles was ein Kind braucht. Es gab nicht ein Mal ein nettes Wort, eine aufmunternde Geste, nichts. Ich, frischgebackene Mutter, aus deren Brüsten kaum Milch kam, war Mutter 2. Wahl… Stattdessen gab es Sprüche, die so gemein waren, dass ich von Tag zu Tag kleiner wurde, meine Zweifel aber größer. Ein Spruch, den werde ich nie vergessen, am Tag der Entlassung: “wir machen uns Sorgen, wie sie ihr Kind ernähren wollen.” Und ich war schon soo verunsichert, dass ich nicht antworten konnte “Na mit der HA Milch, die schon zu Hause steht” und nur geweint habe, weil ich so eine Versagerin als Mama war, mein Kind droht bei mir zu verhungern. Man hat mich fix und alle, verunsichert, verzweifelt entlassen. Ich weiß nicht, ob man dachte, der würgen wir nochmal eins rein oder man dachte, die hat nur den Babyblues. Oder einfach nur die Schwestern extrem unmenschlich waren. Aus heutiger Sicht ziemlich fahrlässig und unverantwortlich...
Und zu Hause ging es weiter, Milchpumpe Tag und Nacht für dürftige Milliliter - egal, eine gute Mutter zieht das durch. 2 Monate zog ichs durch, bis die Quelle, haha, versiegte. Bis dahin war ich schon überzeugt, ich habs als Mutter nicht drauf und der Papa kann alles besser (der wurde auch nicht müde, genau das immer zu sagen). Wie oft stand ich am Bettchen, schaute mein Kind an und dachte, so süß.. aber eigentlich hätte er eine bessere Mutter verdient. Ich hab so unglaublich viel geweint. Und diese Ängste: “atmet er noch”, “oh Gott, er schläft schon seit 4h, da stimmt was nicht”... Ich wusste, irgendwie ist das nicht normal, ich bin nicht “normal” und habe versucht, im Umfeld Hilfe zu finden. Aber neben “reiß dich mal zusammen”, “du bist undankbar, dein Kind ist gesund, was willst du eigentlich..”, “du hast es so gut,wir mussten die Windeln noch auskochen…” und den Herausforderungen von Studium, Nebenjob und Baby, war eigentlich alles grau und leer. Es dauerte dann nochmal bis zur nächsten Schwangerschaft und ich wusste, diesmal muss es anders werden. In Gedanken war es “mein Wiedergutmachkind” und das ist auf so vielen Ebenen verstörend und traurig … Eine Therapie war also unumgänglich und ich ergatterte einen Termin bei einer ganz tollen Psychotherapeutin. Naja klar, war mal eine Wochenbettdepression, nun wars eine “richtige”. Mit meinem zweiten Kind lief tatsächlich alles besser, den Stilldruck habe ich mir nicht mehr gemacht, ich war in einer anderen Klinik und die Mitarbeiterinnen dort waren alle so toll. Aber, und die Sorge blieb lange: bei meinem ersten Sohn ist wohl alles verloren, ich habe versagt. Um das deutlich zu sagen, ich habe ihn zu keiner Zeit vernachlässigt, sondern ihn gekuschelt, umher geschleppt, aufs weinen reagiert,... und war ihm natürlich eine gute Mutter, aber wenn der Papa da war, konnte er vermeintlich alles besser… und ja klar, er konnte ihn auch besser beruhigen als ich, aber das verwundert ja nicht, schließlich war ich tief verunsichert.
Den Durchbruch brachte eine Sitzung, zu der ich mit meinem Großen kommen sollte. Sie betrachtete quasi von außen unsere Interaktion, wie er auf mich reagiert und umgekehrt. Bei der Auswertung hörte ich das erste (!!!) Mal, dass ich eine gute Mutter bin, das unser Miteinander liebevoll ist und wir eine Bindung haben. Aus heutiger Sicht: dass ich jemals daran gezweifelt habe, absurd. Aber damals hab ich geweint in der Sitzung, vor Erleichterung, vor Freude, und auch weil mir immer bewusster wurde…
…. das ich mich trennen muss, dass mein Gemütszustand viel mit meinem Umfeld zu tun hat. Aber das ist ein anderes Thema.
Die Wochenstation im Marienstift, für mich die real gewordene Hölle. An sich hätte man den Kontakt zur Leitung suchen müssen, sich über die Mitarbeiterinnen beschweren. Aber ich konnte nicht. Mein Kind ist jetzt 18 Jahre alt und ich schreib das zum ersten Mal so offen.
Manchmal wünschte ich, ich könnte die Zeit zurück drehen.. dann steh ich am Bettchen, schaue zu wie er schläft und spüre diese unendliche Liebe, dieses unbeschreibliche Glück.. so wie heute, wenn ich meine Kinder anschaue. Klar hatten wir zwei viele schöne innige Momente, aber es bleibt das Gefühl der versauten (sorry 🤐) ersten Zeit.
Sucht euch Hilfe, lasst nicht so mit euch reden, genießt diese erste wunderschöne Zeit, die kommt nie wieder zurück… Und an das Umfeld, seid aufmerksam und seid da. Aber lasst diese abgedroschenen Sprüche und Schuldzuweisungen…
Und vom Klinikpersonal ganz zu schweigen... ich hoffe da hat sich mittlerweile einiges verbessert. Aber Menschlichkeit hat man oder eben nicht, das ist nichts, was man mal eben schulen könnte...