09/06/2018
Mal etwas, was uns alle angeht und in eigener Sache....
Eigentlich wollte ich nie über ein Politikum auf meiner Seite schreiben, aber halt, nein, es ist ja eigentlich nicht nur eine Politik, sondern das wahre Leben.
Das wahre Leben, welches, euch alle was angeht.
Nämlich, dann, wenn es sie nicht mehr gibt, werdet ihr sie schmerzlich vermissen, ja, schmerzlich, im wahrsten Sinn des Wortes.
Die Physiotherapeuten!
Sie haben ganz bestimmt auch euch schon geholfen, einem Familienmitglied, eurer Oma, eurem Kind, oder euch selber! Wer hat keine Nackenverspannungen beim Nähen und Plotten! ;-)
Die Physiotherapeuten sind am Aussterben, sie wird es bald nicht mehr geben!
Ein Berufsstand, der mit Herz und Leidenschaft an ihren Beruf glaubt, mit Ideologie auf den Menschen zu geht. Besser geht immer, ein Schmerz muss nicht ein Schmerz bleiben. Ein Patient im Rollstuhl muss nicht immer im Rollstuhl bleiben, jeder Minischritt zur Verbesserung in der Therapie ist ein Erfolg. Und sogar ein „Nicht-schlechter“ werden ist ein Erfolg. Wir geben den Patienten das Gefühl, er ist in den richtigen Händen, wir können ihm weiterhelfen. Wir kämpfen für ihn mit unsere eigenen Körperkraft, wir kämpfen gemeinsam mit ihm, und wir feuern ihn an bei Übungen, damit er zu mehr Kraft erlangt.
Der Beruf verlangt reine körperliche Arbeit, die Hände sind unser Handwerkszeug, die Füße lassen uns neben der Behandlungsbank stehen und unsere Schulter bewegt das Bein des Patienten.
Wir geben psychischen Halt unseren an Krebs erkrankten Patienten.
Wir hören uns den Alltag der Patienten an, um raus zu finden, woher der Rückenschmerz kommt.
Wir liften Schlaganfallpatienten aus ihren Betten und kämpfen mit ihnen gemeinsam, um in kleinen Schritte das laufen wieder zu erlernen. Wir verhindern manchmal auch, dass jemand in ein Pflegeheim heim muss und entschärfen dort dadurch ein bisschen die angespannte Situation des Fachkräftemangels in den Heimen.
Und wir arbeiten alle im Akkord!!! Pausen Fehlanzeige! Toilettenpause nicht eingeplant! Ein Schluck trinken, obwohl wir zu 90 % unsere Arbeit mit Erklärungen, Anweisungen begleiten, nicht drinnen!
Die Zeit ist unsere Bezahlung.
Das bedeutet, auch wenn wir schneller arbeiten, effizienter arbeiten, professioneller arbeiten, wir bekommen immer das gleiche bezahlt, weil wir nach der Zeit bezahlt, im 20 Minuten Takt.
Selbst wenn ich mich professionalisiere mit Fortbildungen, die ich aus eigener Tasche bezahle, ich dafür meinen Urlaub und meine Wochenende opfere und somit 12 Tage am Stück nicht einmal ausschlafen kann oder die Zeit mit meiner Familie am Wochenende genießen kann, selbst dann bekomme ich nicht mehr Geld für die Behandlungen.
Wie denn auch, denn meine Chefin bekommt ja auch nicht mehr dafür von den Krankenkassen bezahlt, nein, sogar, wenn man die Lymphdrainage sieht, sogar weniger als für die klassische Krankengymnastik.
Gehaltserhöhungen sind somit faktisch nicht drinnen, seit Jahren nicht, seit Jahrzehnten nicht, da gibt es nicht mal ein Inflationsrate, da die Kassen über die Jahre hinweg centweise die Behandlungsbeträge angehoben haben. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, dass kennen, die wenigsten.
Das Paradoxe sogar ist, da die Bevölkerung immer älter wird, die Berufe immer mehr zum Schreibtisch ziehen, immer mehr Physiotherapeuten gebraucht werden, aber die ersten Physiotherapeuten-Schulen schließen müssen aufgrund von mangelnden Bewerbern.
Der Staat stellt nur 20 % der Physiotherapeuten-Schulen. 80 % der Physiotherapeuten-Schulen sind in der privaten Hand und müssen von den Schülern selbst finanziert werden. Und selbst, wenn man dann die teure Schule (mehrere Hundert Euro im Monat, 3 Jahre lang!) beendet hat, dürfen nicht alle Behandlungen, die vom Arzt verordnet werden, gemacht werden, da die Fortbildungsscheine fehlen, da die Fächer nur in wenigen Stunden angeschnitten werden als komplett in die Ausbildung zu integrieren.
Und am Ende nach 45 Berufsjahren in Vollzeit geht man mit unter 1000 Euro in Rente, wenn man es überhaupt mit 67 Jahren ins Rentenalter schafft und nicht schon vorher seinen Job aufgeben musste, da man ja Jahrzehnte körperlich schwer gearbeitet hat. Nicht ohne Grund sind wir Physiotherapeuten in der höchsten Berufsunfähigkeitsklasse und zahlen den höchsten Beitrag.
Und ich rechne lieber euch nicht vor, was eine Mutter mit Kind/Kindern im Teilzeitjob am Ende rauskriegt, wenn man auch bedenkt, dass es doch ein Beruf ist, der in der Mehrzahl von Frauen ausgeübt wird.
Ja, ihr fragt euch jetzt sicher, wieso machen die dann überhaupt diesen Job, soll sie sich halt was anderes suchen. Und wie ihr ja wisst, habe ich einen Nebengewerbe mit Schnittmuster und Ebooks, damit ich über die Runden komme.
Und genau, das ist der Punkt.
Auf kurze oder lange Sicht werden wir uns einen anderen (Haupt-)Job suchen, aber nicht, weil uns die Arbeit des Physiotherapeuten zu schwer ist oder sie uns keinen Spaß mehr macht.
Nein, wir lieben sogar unsere Arbeit, wir arbeiten gerne mit unseren Patienten zusammen, wir kämpfen mit ihnen zusammen, wir lachen mit ihnen zusammen und wir trauern auch mal zusammen. Patienten können einem viel Kraft rauben, aber sie können einem auch ganz viel Kraft zurück geben und das ist das was unseren Beruf ausmacht, dafür leben wir unseren Beruf. Ja, leben und lieben!
Und darum geben wir nicht auf, sondern kämpfen, kämpfen für uns, für unsere Patienten, kämpfen für euch, die vielleicht irgendwann mal in der Zukunft einen Bandscheibenvorfall haben, sich die Schulter beim Skifahren verletzen werden, Kopfschmerzen von zu vieler Computertätigkeit haben werden. Man weiß nie, wann man plötzlich einen Physiotherapeuten braucht und dann ist plötzlich keiner mehr da. Und eins ist gewiss, niemals wird es ein Roboter geben, der so einen feinen Tastsinn hat, wie die menschliche Hand! Doch diese feinfühlige Hand wird es bald nicht mehr geben, wenn sich die Bedingungen nicht jetzt, sofort für die Physiotherapeuten ändern.
Der wahre Grund an erster Stelle, wieso wir aufhören werden, ist, das unsere Leistung von den Krankenkassen (gesetzlichen KK, sowie auch die Beihilfe) nicht honoriert werden. Das die Bezahlung für eine Behandlungseinheit so schlecht ist, dass unsere Chefs, die sogar uns mehr zahlen wollen, da sie sehen, was wir tagtäglich leisten, sie es einfach nicht können.
Und um es mal in Zahlen auszudrücken, dass der Durchschnittslohn, auch für eine hochqualifizierte Physiotherapeutin mit langjähriger Berufserfahrung bei Vollzeit mit 40 Stunden nur 2200 Euro brutto beträgt, und somit der Stundenlohn bei brutto 12,70 Stundenlohn liegt, ist absolut unverständlich. Selbst die Telefonistin bei der Krankenkasse laut einer Gehaltsliste von 2016 verdient mehr und wenn man jetzt vom Entfernten darauf blickt, wir Physiotherapeuten im Sinne der Krankenkassen für ihre Mitglieder arbeiten und gerade deshalb sollten sie Sorge tragen, dass es ihren Mitgliedern gut geht und sie medizinisch gut versorgt sind.
Und da wir mit diesem Gehalt nicht länger unser Leben finanzieren können, da auch wir steigende Mieten und Lebenserhaltungskosten haben und unsere Chefs nicht länger ihre Praxis halten können, das sie auch genauso wie ihre Mitarbeiter Vollzeit an der Behandlungsbank stehen und die Ausgaben für die Praxisräumlichkeiten und weiteres steigen, werden bald weitere Praxen schrumpfen und kleiner werden bis die Insolvenz ansteht.
Die Therapeuten sind am Limit!
Beitrag darf gerne geteilt werden, wir müssen gehört werden!
Das ist euer Anteil, den ihr für uns machen könnt. Solidarität für uns zeigen!
Uns helfen auf diese Missstände hinzuweisen, sie publik zu machen und die Krankenkassen und die Politik zum Handeln zu zwingen.
Damit hinterher niemand sagen kann, das haben wir ja alles nicht gewusst.
Ich danke euch für das Lesen und eure Anteilnahme an einem sterbenden Beruf.
Um schon einen kleinen Erfolg zu vermerken:
Die Ersatzkassen haben in Verhandlungen schon Erhöhungen vereinbart, die über 3 Jahre steigen sollen. Was aber unverständlich ist, da ja die Kassen Überschüsse haben, weshalb man nicht die Erhöhung auf einen Schlag jetzt sofort macht, sondern in Etappen. Es kompensiert eigentlich auch gerade nur das, was die letzten Jahre nicht passiert ist. Die Therapeuten brauchen jetzt einen richtungsweisenden Weg. Die Berufsanfänger brechen jetzt weg, jetzt gibt es noch einen Weg in die richtige Richtung.
Kämpft mit uns, kämpft für uns!
Danke, Heiko Schneider und Therapeuten am Limit, dass ihr den Stein ins Rollen gebracht hast!
Danke, Dr. Roy Kühne, dass du Heiko Schneider und somit auch uns, Gehör schenkst!
Dieser Beitrag bezieht sich auch auf die Berufsgruppen, der Ergotherapie, Logopädie und Podologen!