18/04/2018
TIPPS VON EINER ÄRZTIN
Wie Kinder besser schlafen
Eltern können eine Menge falsch machen, wenn sie ihren Nachwuchs zu Bett bringen.
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Die Eltern dachten: Wenn die Babyzeit vorbei ist, wird alles besser. Aber jetzt ist das Kind schon vier oder sechs, manchmal acht Jahre alt, und trotzdem kehrt nachts keine Ruhe ein. Das Kind will einfach nicht schlafen. Es tobt abends im Bett, kann sich nicht entspannen, besteht darauf, dass Mama oder Papa mit am Bett sitzen, bis es wegdämmert.
Nachts schläft es nicht durch, kommt rüber ins Elternbett, hat Albträume oder macht sich Sorgen über Dinge, die tagsüber kein Problem sind. Eltern, die sich damit herumschlagen, sitzen oft in Barbara Schneiders Sprechstunde. Sie ist Kinderärztin und leitet das Zentrum für Neuropädiatrie und Schlafmedizin im Kinderkrankenhaus St. Marien in Landshut.
Schneider hilft den Eltern herauszufinden, ob die Schlafprobleme eine organische Ursache haben – oder ob sie vielleicht etwas falsch machen, ohne es zu ahnen. Denn nicht selten legen die Eltern mit ihrem Bemühen, es dem Kind möglichst schön zu machen, den Grundstein für Schlafprobleme.
WELT: Frau Schneider, meine Eltern haben mich als Kind jeden Tag zur selben Zeit ins Bett gesteckt – auch am Wochenende. Ich habe natürlich protestiert. Aber würden Sie sagen, dass das eine gute Idee war?
Barbara Schneider: Da wir Menschen alle „Gewohnheitstierchen“ sind, ist das keine schlechte Strategie. Einem Kleinkind passt das natürlich nicht unbedingt in den Kram. Sie schauen ja nicht auf die Uhr und denken ‚Ah ja, sonnenklar, es ist 19 Uhr, ich muss ins Bett‘. Für sie kommt das Ende des Tages manchmal sehr überraschend. Deswegen sollten Eltern ihren Kindern früh genug signalisieren, dass der Tag sich nun dem Ende nähert, damit sie in Ruhe runterfahren können. So kann man unterstützen, dass Kinder einen regelmäßigen Schlafrhythmus haben.
WELT: Macht selbstbestimmtes Einschlafen das alles nicht entspannter? Wenn man wartet, bis die Kinder von selbst müde werden, bevor jeder Tag mit Tränen und Geschrei endet?
Schneider: Nein! Das kommt zwar auch immer etwas auf die Leidensfähigkeit der Familie an und darauf, wie der Familienrhythmus ist. Aber wenn um acht Uhr morgens die Schule beginnt und das Kind am Abend erst um 22 Uhr eingeschlafen ist, das funktioniert nicht. Das wird sehr anstrengend für die Familie. Außerdem schlafen Kinder, wenn sie müde sind, überall ein, auf dem Boden oder auf dem Sofa. Dann kann es passieren, dass das Kind um 17 Uhr einen Powernap macht und danach topfit ist. Prinzipiell ist Regelmäßigkeit für Kinder wichtig und auch ein Einschlafritual als Vorbereitung auf einen erholsamen Schlaf.
WELT: Ein gutes Stichwort. Was genau macht man dabei? Den Tag R***e passieren lassen und dann noch eine Geschichte vorlesen?
Schneider: Ja. Aber hier ist wichtig: Weniger ist mehr. Manche Eltern denken sich da ein wahnsinniges Programm aus. Dabei sind die meisten Kinder zufrieden, wenn einfach immer das Gleiche passiert, wenn man die gleiche Geschichte zwanzigmal hintereinander hört. Kinder wollen sich darauf verlassen, dass sie etwas schon kennen. Es ist nicht sinnvoll, eine spannende Fortsetzungsgeschichte vorzulesen. Wenn der Pirat Huck die Insel erreicht hat und dort morgen Abenteuer bestehen muss, wirkt das aufputschend. Deswegen: Geschichten, die beruhigen oder die die Kinder schon gut kennen, sind am sinnvollsten. Eltern können vielleicht die Benjamin-Blümchen-CD in Dauerschleife nicht mehr hören, aber für die Kleinen schafft das Vertrauen.
WELT: Es muss also nicht immer ein Buch sein? Wie sieht es aus mit einem Video oder einer Folge Sandmännchen?
Viele Eltern machen abends zu viel Programm, sagt Barbara Schneider
Viele Eltern machen abends zu viel Programm, sagt Barbara Schneider
Copyright: Barbara Schneider
Schneider: Das kann man machen – allerdings nicht unmittelbar vor dem Einschlafen! Laptops, Smartphones und Fernsehgeräte bedienen sich an Lichtquellen im blauwelligen Frequenzbereich. Diese Lichtfrequenz kommt in der Natur am Morgen vor, abends ist rotwelliges Licht natürlich. Blauwelliges Licht stört die Ausschüttung des Hormons Melatonin, das für den Körper eigentlich eine Fanfare ist mit der Nachricht: „Jetzt werde ich müde und geh ins Bett.“ Wenn das Kind nun blauwelliges Licht vom Bildschirm sieht, dann registriert es, aha, es scheint morgens zu sein, ich bin dann mal wach. Deswegen sollte mindestens eine Stunde vor dem Schlafengehen nicht mehr auf einen Bildschirm gestarrt werden.
Kinder nehmen Filme mit in den Schlaf
WELT: Ihre Kollegen von der Universität Ulm haben in einer Studie herausgefunden, dass auch die Dauer eine Rolle spielt: Kinder, die tagsüber eine Stunde oder mehr vor dem Bildschirm sitzen, haben häufiger Schlafprobleme. Warum ist das so?
Schneider: Je jünger die Kinder sind, desto mehr verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fantasie. Wenn sie eine Sendung über einen Hai sehen, dann wachen sie vielleicht nachts auf und denken, dass der Hai jetzt in ihrem Bett wohnt. Für uns ist das nicht nachvollziehbar, aber Ängste sind Ängste und die stören immer beim Schlafen. Man sollte Kinder auch nicht einfach vor das Sandmännchen setzen, sondern ihnen die Handlung erklären und sie in den Arm nehmen, wenn sie sich Sorgen machen. Nur so können sie später ruhig schlafen.
WELT: Ruhig schlafen, was bedeutet das eigentlich? Wenn man Eltern fragt, zappeln Kinder nachts genauso viel wie tagsüber.
Schneider: Es gibt Kinder, die schlafen sehr bewegt, aber dennoch gut. Wenn ein Kind aber ständig hochschreckt und vielleicht sogar wach wird, sollte man sich das genauer ansehen. Es gib organische Störungen, die die Schlafqualität kaputt machen können, wie die obstruktive Schlafapnoe. Die Betroffenen bekommen manchmal kurzzeitig schlecht Luft und schrecken aus dem Tiefschlaf hoch, schlafen aber oberflächlich weiter. Das wird dann so ein Ping-Pong-Spiel aus Tiefschlaf und oberflächlichem Schlaf. Den Tiefschlaf brauchen wir aber, um erholt zu sein. Diese Kinder liegen manchmal zehn Stunden im Bett und sind trotzdem unausgeschlafen. Sie sind tagsüber total hibbelig, unkonzentriert und manchmal aggressiv.
WELT: Nicht eher schläfrig und langsam?
Schneider: Weil Kinder tagsüber was erleben wollen, überspielen sie ihre Müdigkeit mit körperlicher Aktivität. Manchmal kommt dann die Meldung aus Kindergarten oder der Schule, es könnte hyperaktiv sein. Da ist es wichtig, erst mal einen Schritt zurückzugehen und zu schauen, wie das Kind eigentlich schläft.
Das Schlafbedürfnis ist sehr unterschiedlich
WELT: Weil sie gerade zehn Stunden sagten: Laut Robert-Koch-Institut gibt es für jedes Alter eine gewisse Anzahl an Stunden, die ein Kind nachts schlafen sollte. Bei Fünfjährigen sind das etwa elf Stunden, bei Zehnjährigen neuneinhalb.
Schneider: Es gibt diese Empfehlungen, die sich aus Studien ableiten, ja. Aber man muss immer beachten, dass es hier große Unterschiede zwischen Kindern geben kann. Natürlich kann der eine Fünfjährige nach zehn Stunden gesundem Schlaf fit sein, der andere braucht eben 13.
WELT: Gesunder Schlaf, können Sie kurz umschreiben, wie der aussehen sollte?
Schneider: Der gesunde Kinderschlaf ist entspannt – für Kind und Eltern. Er ist geräuscharm, also ohne Schnarchen oder Zähneknirschen. Und er ist erholsam, das Kind ist tagsüber ausgeglichen und schläft nicht unwillkürlich ein.
WELT: Wenn der Schlaf nicht so aussieht, wie wahrscheinlich ist es dann, dass das Kind einfach von Natur aus kein so guter Schläfer ist?
Schneider: Es kann durchaus sein, dass ein Kind aufgrund seiner Veranlagung einfach schlechter schläft als andere. Das hat etwas mit Regulationsfähigkeit zu tun, also wie gut sich jemand selbst beruhigen kann und abends zur Ruhe kommt. Es gibt Kinder, die sind abends total entspannt und schlafen einfach. Andere können sich nicht so gut regulieren und nehmen alle Aufregungen des Tages abends mit ins Bett. Für die wird das Einschlafen auch in jeder spannenden Lebensphase erneut zum Thema, wenn der Kindergarten losgeht, die Schule oder später das Studium.
WELT: Also nehmen Kinder Schlafschwierigkeiten mit bis ins Erwachsenenalter?
Schneider: Da gibt es tatsächlich Untersuchungen, die zeigen, dass schlechte Schläfer im Kindesalter auch als Erwachsene häufiger Probleme beim Schlafen haben, eben weil sie sich schlechter regulieren können.
Eltern springen oft zu schnell ein
WELT: Ist es denn angeboren, wie gut man sich regulieren kann?
Schneider: In der Regel ist jedes Kind etwa ab dem fünften Monat in der Lage, alleine einzuschlafen und sich selbst zu beruhigen, wenn es nachts aufwacht. Es wird vermutet, dass Kinder, deren Eltern sie sofort unterstützen wollen, wenn sie aufwachen, nicht genug selbstregulierende Fähigkeiten entwickeln. Sie fordern dann immer wieder die Anwesenheit ihrer Eltern ein, um einzuschlafen. So können später Schlafstörungen entstehen, die Kinder lernen nicht, wie sie sich selbst beruhigen können.
WELT: Das heißt, man sollte nicht sofort springen, wenn das Kind nachts aufwacht?
Schneider: Natürlich muss man Kinder beim Schlafen unterstützen, wenn sie krank sind, zahnen, wenn irgendetwas Besonderes passiert wie ein Umzug oder ein Urlaub. Da werden ihre selbstregulatorischen Fähigkeiten sonst zu sehr beansprucht. Ansonsten sollte man darauf achten, das Kind liebevoll zu begrenzen und es dabei zu unterstützen, dass es sich sicher fühlt – und dann alleine einschlafen und loslassen kann.
WELT: Dann gibt es ja aber noch die Kinder, die nicht rufen, wenn sie wach werden, sondern einfach Nacht für Nacht ins Elternbett krabbeln …
Schneider: Kleinkinder kommen ja meistens ganz automatisch ins Elternbett gekrochen, wenn sie aufwachen und nicht mehr einschlafen können. Das hat nicht immer mit Angst zu tun, die Kleinen wollen sich manchmal einfach vergewissern, dass alle da sind. Wenn es niemanden in der Familie stört und das nicht jede Nacht vorkommt, ist das in Ordnung. Spätestens ab dem Schulalter sollten Eltern aber versuchen, ihre Kinder zu motivieren, im eigenen Bett zu bleiben, wenn sie nachts aufwachen. Ältere Kinder tun das meist sowieso. Wenn Sie merken, dass ihr Grundschulkind morgens total in den Seilen hängt und Schatten unter den Augen hat, dann gilt zuerst einmal: Fragen Sie nach! Die erzählen einem dann gelegentlich ganz erstaunliche Dinge.
Hintergrund: zur Person
Barbara Schneider ist Kinder- und Jugendärztin und leitet das Zentrum für Neuropädiatrie und Schlafmedizin am Kinderkrankenhaus St. Marien in Landshut. Im Schlaflabor klärt sie organische Ursachen für Schlafstörungen ab und berät Eltern zum Thema gesunder Kinderschlaf.
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