05/07/2020
Überkommunikation -
oder auch die Frage, ob Social Media unseren Verstand verschluckt
Früher haben wir, besonders die Damen unter uns, jeden einzelnen im Freundeskreis angerufen und dieselben Neuigkeiten erzählt. Das Mitteilungsbedürfnis war groß, jedoch mussten alle versprechen, es für sich zu behalten. Ging ja schließlich nicht jeden etwas an, mit wem wir Knatsch hatten oder wie mies das Date gelaufen ist.
Heute verlagert sich dieses Bedürfnis auf die Social Media Kanäle. Das verleitet uns dazu, unsere Erlebnisse, Gedanken und Ansichten mit einem Schlag dem gesamten Freundeskreis mitzuteilen. In welcher Verfassung sind wir gerade, was finden wir gut, was finden wir so richtig besch...eiden. Wobei sich in den Freundeslisten und unter den Followern wohl eher mehr Bekannte und Unbekannte tümmeln, als wirkliche Freunde. Wir sind offener und präsentieren uns gerne. Dieser Schuss kann dann auch mal nach hinten losgehen. Denn nicht jeder ist uns immer wohlgesonnen. Andere können diese Informationen auch für ihre Zwecke und ihren Unmut nutzen, sie also gegen uns verwenden und ausschlachten.
Die "neue Art" des Mobbings über Social Media kann viel grausamer sein, als das, was einige noch von ihrer Schulzeit kennen. Mal ehrlich, wir hatten es damals in den 80ern und 90ern schon nicht leicht. Der Druck mit den Markenklamotten, um nur ein Beispiel unter vielen zu nennen, hat manche regelmäßig mit Tränen nach Hause laufen lassen. Wie hätten wir es ausgehalten, wenn man uns dann später am Tag auch noch online fertiggemacht hätte? Ich will es mir nicht ausmalen.
Es geht allerdings nicht nur um Mobbing. Die Menschen kennen keine Tabus mehr, keine Moral, keinen Anstand. Nur weil man jemandem nicht direkt gegenübersteht, vergisst man gerne mal sein gutes Benehmen und lässt seinem Frust in den Kommentaren freien Lauf. Ob man seinen Klarnamen verwendet oder nicht, ganz egal. Man hat zu allem eine Meinung und muss diese, auch auf provokante Weise, loswerden. Das kann den Frieden erheblich stören, auch egal. Da wird Social Media mal schnell zu Unsocial Media.
Ich erlebe es fast täglich in Foren für beruflichen Austausch. Da sind Kollegen, die sich bei der Arbeit alle lieb haben, die zusammenhalten und sich unterstützen. Im Forum jedoch zerfetzt man sich gegenseitig. Woher kommt sowas? Erliegen wir einer Illusion von Anonymität? Fühlen wir uns sicherer vor dem Display? Trauen wir uns mehr Offenheit zu, wenn wir schreiben? Und wenn wir dem anderen dann begegnen, sind wir noch genauso "stark"? - wohl eher nicht.
Kinder und Jugendliche müssen den Respekt und verantwortungsbewussten Umgang im Netz lernen. Aber ist unsere Generation wirklich ein gutes Vorbild? Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten.
Jedem ist erlaubt, das zu posten, was ihm gefällt. Solange es sich im rechtlichen Rahmen bewegt, ist alles gut.
Es wird dennoch immer Posts geben, die uns nicht gefallen, nicht interessieren beziehungsweise zu denen wir nichts Konstruktives oder Nettes beitragen können. Jedoch haben wir die Möglichkeit, diesen Post einfach zu übergehen. Wir sind nicht verpflichtet, zu allem unsere Meinung kundzutun oder ein wütendes Emoji zu hinterlassen, nur um irgendwie dagegenzuhalten. Da gehört natürlich eine Portion Gelassenheit dazu. Das Ergebnis könnte sein, dass andere eine schöne Kommunikation miteinander haben, und zwar mit Menschen, die das Thema wirklich interessiert.
Auch wenn wir nicht die Absicht haben, negative Kommentare zu schreiben, ist die Versuchung manchmal groß, einen Beitrag doch einfach mal zu kommentieren oder ein Bildchen einzufügen. Wir können uns dann immer fragen, ob wir jetzt wirklich etwas mitteilen müssen...oder das Gerät einfach mal zur Seite legen ;-)
In diesem Sinne, liebe Grüße :-)
Bildquelle: Pixabay